Forum › Smalltalk › Dies & Das
mein Leben
5 ANTWORTEN
mein Leben verlief nicht immer so gut,
hier nun ein kleiner Auszug aus meinem Leben:
Maske
Jeder sieht mein Lachen...
doch keiner weiß, was ich fühle.
Jeder hört was ich sage...
doch keiner weiß, was ich denke.
Jeder liest was ich schreibe...
doch keiner sieht meine Tränen.
Jeder glaubt mich zu kennen...
doch keiner kennt mich wirklich!
hier nun ein kleiner Auszug aus meinem Leben:
Maske
Jeder sieht mein Lachen...
doch keiner weiß, was ich fühle.
Jeder hört was ich sage...
doch keiner weiß, was ich denke.
Jeder liest was ich schreibe...
doch keiner sieht meine Tränen.
Jeder glaubt mich zu kennen...
doch keiner kennt mich wirklich!
Einführung
Dieses Buch beschreibt einige Teile meines Lebens.
Diese Zeit war nicht einfach für mich, denn ich lebte einige Zeit auf der Straße.
Viele von Ihnen werden das Buch kennen:
" Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"
Auch ich war dort. Es hat sich einiges geändert.
In diesem Buch steht unter anderem,
wie ich diesen Bahnhof erlebt habe.
Allerdings beschreibt dieses Buch auch
die soziale Ungerechtigkeit in unserem Staat.
Lesen Sie dieses Buch genau, denn auch Ihnen oder Ihren Kindern kann so etwas passieren.
Vielleicht machen Sie sich dann einmal Gedanken, wie es so weit kommen kann. Damit meine ich nicht nur die Obdachlosigkeit, sondern auch die Gewalt in unserem Land.
Dieses Buch beschreibt einige Teile meines Lebens.
Diese Zeit war nicht einfach für mich, denn ich lebte einige Zeit auf der Straße.
Viele von Ihnen werden das Buch kennen:
" Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"
Auch ich war dort. Es hat sich einiges geändert.
In diesem Buch steht unter anderem,
wie ich diesen Bahnhof erlebt habe.
Allerdings beschreibt dieses Buch auch
die soziale Ungerechtigkeit in unserem Staat.
Lesen Sie dieses Buch genau, denn auch Ihnen oder Ihren Kindern kann so etwas passieren.
Vielleicht machen Sie sich dann einmal Gedanken, wie es so weit kommen kann. Damit meine ich nicht nur die Obdachlosigkeit, sondern auch die Gewalt in unserem Land.
Meine erste Liebe
Zeitraum: 01.09.1988 - 24.08.1990
Der 01.09.1988 war der erste Tag in meiner Lehre als Matrose der Binnenschifffahrt. Meine Ausbildungsfirma war der:
VEB Binnenreederei
Stammbetrieb im Kombinat
Binnenschiffahrt und Wasserstraßen
Berlin Friedrichshain
Für mich war es besonderer Tag. Ich fühlte mich endlich frei. Ich war weg von zu Hause, weg von den Eltern. In dem Internat, in dem ich untergebracht war, lebten einhundertsechzig männliche und elf weibliche Lehrlinge. Man lernte ein paar Lehrlinge besser kennen, andere überhaupt nicht.
Wo lernen sich Jugendliche am besten Kennen, natürlich in einer Gaststätte. Wir saßen bald jeden Abend im Tessmann (Name der Gaststätte). Sie befindet sich in Schönebeck OT Frohse, bei Magdeburg, dort fand auch meine Ausbildung statt. Auch ein Teil der Mädchen waren dabei.
Ein Mädel war anders als die anderen. Sie war ruhiger und sehr zurückhaltend. Vielleicht waren es gerade diese Eigenschaften, die mir so an ihr gefielen. Ich verliebte mich ohne es mitzubekommen. Ich blieb auch öfters die Wochenenden im Internat. Es war mir lieber alleine im Internat zu sein, als bei meinen Eltern. Ich hatte bereits einige Monate meiner Lehre hinter mir, als es der Zufall wollte, daß ich mit diesem Mädel ein Wochenende allein im Internat war. Ich ging natürlich auch am Wochenende ins Tessmann, da ich ja nun auch schon Menschen aus diesem Ort kannte. An jenem Sonnabend ging ich auch dort hin. Sie war auch schon dort und saß alleine an einem Tisch. Ich ging zu ihr an den Tisch und fragte ob ich mich setzen darf, ich durfte mich zu ihr setzen. Wir unterhielten uns und ich erfuhr ihren Namen. Sie hieß Claudia und kam aus Berlin. An diesem Wochenende entwickelte sich eine Art Freundschaft zwischen Claudia und mir. An diesem Wochenende bekam ich auch zum ersten mal bewußt mit, daß sie, das Mädel war mit dem ich mein ganzes Leben verbringen wollte. Seit diesem Wochenende unternahmen wir viel zusammen. Aus der Freundschaft wurde mit der Zeit ein inniges Verhältnis.
Doch leider gab es in diesem Ort auch Menschen die uns Binnenschiffer nicht mochten. Es waren vor Allem die Jugendlichen aus Schönebeck. Wenn wir einzeln gingen wurden wir öfter angegriffen von den Jugendlichen. Sie meinten, wir nehmen ihnen ihre Mädels weg. Es legte sich aber als wir mit siebzig Lehrlingen nach Schönebeck OT Elbe gezogen sind um endlich damit Schluß zu machen.
Doch nun zurück zu Claudia, denn sie hatte irgend etwas. Immer wieder bemerkte ich, daß sie irgend etwas bedrückte. Doch ich wollte sie nicht danach fragen, denn ich war zu der Zeit noch sehr schüchtern, was man heute bestimmt nicht mehr von mir sagen würde. Das Wochenende darauf fuhr ich mit ihr nach Berlin. Claudia stellte mich ihren Eltern vor. Es wurde ein schönes Wochenende. Wir gingen viel spazieren. Am schönsten war es abends. Wir saßen auf dem Balkon und sahen uns den Sternenhimmel an. Es war eine schöne Zeit.
Ich fuhr nur noch einmal im Monat nach Hause, die restliche Zeit verbrachten wir in Magdeburg oder in Berlin. Claudia war etwas besonderes, sie wußte immer ganz genau was sie wollte. Sie trat immer selbstsicher auf, war aber ein sehr schüchternes Mädchen. Wer sie nicht näher kannte, hätte niemals geglaubt, daß sie schüchtern ist. Wir hatten viele schöne Momente, aber auch Zeiten, wo man um den Partner Angst hatte.
Ich lernte ja Matrose und hatte natürlich auch praktische Ausbildung. Das hieß für uns eine Trennung von drei Wochen. Mein MGS (Motorgüterschiff) war immer drei Wochen unterwegs. Wir fuhren vor allem die Strecke auf der Elbe, zur ĈSSR, die heutige Tschechei. Danach hatte man eine Woche frei und dann ging es von vorne los. Immer wenn ich mit dem MGS "Muskau" unterwegs war, spürte ich diese Angst. Die Angst das Claudia einen neuen Freund hat wenn ich wieder komme. Bis dann etwas schönes passierte. Ich kam im Januar , es muß am Ende des Monats gewesen sein, von so einer Fahrt wieder in den Heimathafen Magdeburg und fuhr am nächsten Tag gleich nach Berlin. Ich weiß es noch ganz genau, als wäre es erst gestern gewesen. Es war der 01.02.1990, als Claudia mir sagte: "Ich bin schwanger". Ich war sehr glücklich, wir hatten uns schon immer ein Kind gewünscht, nun endlich sollten wir es kriegen. Die nächsten Tage, Wochen Monate, die ganze lange Zeit, sie verging viel zu langsam. Wir wollten doch unser Kind haben. Wir hatten uns so sehr darauf gefreut. Ich konnte es kaum erwarten. Ich zählte jede Stunde, jeden Tag und jeden Monat, aber es dauerte so lange. Man konnte richtig fühlen, wie das Embryo sich entwickelte. Claudias Bauch war jedes mal etwas dicker. Nach jeder Fahrt die ich machte, war er wieder ein Stück gewachsen. Ich glaube es waren meine schönsten Tage im Leben. Ich war noch nie so glücklich.
Im Juni standen nun die Prüfungen an. Claudia war bereits im fünften Monat schwanger. Meine Gedanken waren leider nicht bei der Prüfung. Ich dachte immer nur an Claudia und unser Kind. Das Ergebnis war, daß ich durch die Prüfung nicht bestand. Auch die Wiederholungsprüfung schaffte ich nicht. Was im Zeugnis zu sehen ist. Die fünf in der Schiffahrtstechnik hat mir das Genick gebrochen. Ich war zu unkonzentriert. Ich hatte nun zwei Jahre gelernt und doch keinen Facharbeiter.
Die nächsten zwei Monate verbrachte ich in Berlin. Ich versuchte dort Arbeit zu finden, aber es wollte nicht klappen.
Am 20.08.1990 fuhr ich für ein paar Tage nach Grimmen. Meine Eltern sollten auch erfahren, was mit ihrem Sohn los ist. Sehr erfreut waren sie natürlich nicht über meine Prüfung. Was natürlich zu verstehen war. Am 23.08.1990 kam ein Brief für mich. In diesem Brief stand, daß ich am 04.09.1990 zur NVA nach Stralsund-Dänholm muß. Ich blieb noch bis zum 26.08.1990 in Grimmen. Bevor ich am nächsten Tag nach Berlin fuhr.
Was ich dort erfuhr, zerstörte mein Leben. Ich wünschte mir, ich wäre nicht nach Grimmen gefahren, dann wäre es vielleicht nicht passiert, aber es sollte nicht sein.
Ich fuhr also nach Berlin. Als ich bei Claudias Eltern ankam, war keiner zu Hause. Das wunderte mich, denn ihr Vater war arbeitslos und Claudia war ja nun bereits kurz vor der Entbindung. Zuerst dachte ich, daß es schon soweit wäre und alle im Krankenhaus sind um auf meinen Sohn zu warten. Es sollte aber nicht so sein. Ich wartete vor dem Haus. Ich weiß nicht wie lange ich gewartet habe. War es eine Stunde, zwei oder drei, ich weiß es nicht mehr. Irgendwann dann, kam ihr Vater schwarz gekleidet nach Hause. Ich fragte wo Claudia sei. Ich wollte erst gar nicht verstehen, was er meinte. Claudia tot, daß konnte nicht sein, sie war doch gerade erst achtzehn Jahre alt. Er erzählte mir wie es passiert war. Es war am 24.08.1990 Claudia und ihre Mutter gingen am Abend noch einmal spazieren. Claudias Vater blieb zu Hause und bereitete das Abendbrot vor. Gegen 19:30 Uhr klingelte es an der Tür und ein Polizist stand davor. Er sagte ihm, daß Claudia und seine Frau bei einem "Verkehrsunfall" ums Leben gekommen sind. Verkehrsunfall? Ihr Vater wollte es genauer wissen. Die beiden wollten über eine Straße gehen, als ein Fahrzeug beide überfuhr. Laut Zeugenaussagen fuhr das Auto erst schneller als die beiden auf der Straße waren. Der Fahrer ein kahlköpfiger junger Mann, fuhr einfach weiter, aber es war nur ein Verkehrsunfall.
Als ich das gehört hatte, konnte ich es irgendwie nicht fassen. Sie konnte doch nicht tot sein, das kann sie mir doch nicht antun. Ich lief einfach aus dem Haus und rannte durch die Gegend, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Ich wollte auch nicht mehr leben, ja das waren meine Gedanken. Was sollte ich denn noch hier, alles was mir hier lieb war, war weg. Ich sah keinen Sinn darin noch weiter zu leben. Ich fuhr zum Bahnhof. Ich beschloß, auf der Fahrt dorthin, mich umzubringen, aber wie. An einigen Bahnsteigen standen Züge. Ich legte mich vor eine Lok und wartete das sie los fuhr. Sie fuhr auch irgendwann los, nur leider in die verkehrte Richtung. Ich wurde noch wütender und machte alle Menschen am Bahnhof an. Bis ich von einem, durch einen Schlag ins Gesicht, wieder halbwegs zur Besinnung gebrach wurde.
Ich fuhr dann mit dem nächsten Zug nach Grimmen zurück. Die letzten paar Tage bis zur Einberufung blieb ich in Grimmen. Das einzige was mich noch an sie erinnerte waren ein paar Haare, die sie mir mal schenkte und die Erinnerung.
Zeitraum: 01.09.1988 - 24.08.1990
Der 01.09.1988 war der erste Tag in meiner Lehre als Matrose der Binnenschifffahrt. Meine Ausbildungsfirma war der:
VEB Binnenreederei
Stammbetrieb im Kombinat
Binnenschiffahrt und Wasserstraßen
Berlin Friedrichshain
Für mich war es besonderer Tag. Ich fühlte mich endlich frei. Ich war weg von zu Hause, weg von den Eltern. In dem Internat, in dem ich untergebracht war, lebten einhundertsechzig männliche und elf weibliche Lehrlinge. Man lernte ein paar Lehrlinge besser kennen, andere überhaupt nicht.
Wo lernen sich Jugendliche am besten Kennen, natürlich in einer Gaststätte. Wir saßen bald jeden Abend im Tessmann (Name der Gaststätte). Sie befindet sich in Schönebeck OT Frohse, bei Magdeburg, dort fand auch meine Ausbildung statt. Auch ein Teil der Mädchen waren dabei.
Ein Mädel war anders als die anderen. Sie war ruhiger und sehr zurückhaltend. Vielleicht waren es gerade diese Eigenschaften, die mir so an ihr gefielen. Ich verliebte mich ohne es mitzubekommen. Ich blieb auch öfters die Wochenenden im Internat. Es war mir lieber alleine im Internat zu sein, als bei meinen Eltern. Ich hatte bereits einige Monate meiner Lehre hinter mir, als es der Zufall wollte, daß ich mit diesem Mädel ein Wochenende allein im Internat war. Ich ging natürlich auch am Wochenende ins Tessmann, da ich ja nun auch schon Menschen aus diesem Ort kannte. An jenem Sonnabend ging ich auch dort hin. Sie war auch schon dort und saß alleine an einem Tisch. Ich ging zu ihr an den Tisch und fragte ob ich mich setzen darf, ich durfte mich zu ihr setzen. Wir unterhielten uns und ich erfuhr ihren Namen. Sie hieß Claudia und kam aus Berlin. An diesem Wochenende entwickelte sich eine Art Freundschaft zwischen Claudia und mir. An diesem Wochenende bekam ich auch zum ersten mal bewußt mit, daß sie, das Mädel war mit dem ich mein ganzes Leben verbringen wollte. Seit diesem Wochenende unternahmen wir viel zusammen. Aus der Freundschaft wurde mit der Zeit ein inniges Verhältnis.
Doch leider gab es in diesem Ort auch Menschen die uns Binnenschiffer nicht mochten. Es waren vor Allem die Jugendlichen aus Schönebeck. Wenn wir einzeln gingen wurden wir öfter angegriffen von den Jugendlichen. Sie meinten, wir nehmen ihnen ihre Mädels weg. Es legte sich aber als wir mit siebzig Lehrlingen nach Schönebeck OT Elbe gezogen sind um endlich damit Schluß zu machen.
Doch nun zurück zu Claudia, denn sie hatte irgend etwas. Immer wieder bemerkte ich, daß sie irgend etwas bedrückte. Doch ich wollte sie nicht danach fragen, denn ich war zu der Zeit noch sehr schüchtern, was man heute bestimmt nicht mehr von mir sagen würde. Das Wochenende darauf fuhr ich mit ihr nach Berlin. Claudia stellte mich ihren Eltern vor. Es wurde ein schönes Wochenende. Wir gingen viel spazieren. Am schönsten war es abends. Wir saßen auf dem Balkon und sahen uns den Sternenhimmel an. Es war eine schöne Zeit.
Ich fuhr nur noch einmal im Monat nach Hause, die restliche Zeit verbrachten wir in Magdeburg oder in Berlin. Claudia war etwas besonderes, sie wußte immer ganz genau was sie wollte. Sie trat immer selbstsicher auf, war aber ein sehr schüchternes Mädchen. Wer sie nicht näher kannte, hätte niemals geglaubt, daß sie schüchtern ist. Wir hatten viele schöne Momente, aber auch Zeiten, wo man um den Partner Angst hatte.
Ich lernte ja Matrose und hatte natürlich auch praktische Ausbildung. Das hieß für uns eine Trennung von drei Wochen. Mein MGS (Motorgüterschiff) war immer drei Wochen unterwegs. Wir fuhren vor allem die Strecke auf der Elbe, zur ĈSSR, die heutige Tschechei. Danach hatte man eine Woche frei und dann ging es von vorne los. Immer wenn ich mit dem MGS "Muskau" unterwegs war, spürte ich diese Angst. Die Angst das Claudia einen neuen Freund hat wenn ich wieder komme. Bis dann etwas schönes passierte. Ich kam im Januar , es muß am Ende des Monats gewesen sein, von so einer Fahrt wieder in den Heimathafen Magdeburg und fuhr am nächsten Tag gleich nach Berlin. Ich weiß es noch ganz genau, als wäre es erst gestern gewesen. Es war der 01.02.1990, als Claudia mir sagte: "Ich bin schwanger". Ich war sehr glücklich, wir hatten uns schon immer ein Kind gewünscht, nun endlich sollten wir es kriegen. Die nächsten Tage, Wochen Monate, die ganze lange Zeit, sie verging viel zu langsam. Wir wollten doch unser Kind haben. Wir hatten uns so sehr darauf gefreut. Ich konnte es kaum erwarten. Ich zählte jede Stunde, jeden Tag und jeden Monat, aber es dauerte so lange. Man konnte richtig fühlen, wie das Embryo sich entwickelte. Claudias Bauch war jedes mal etwas dicker. Nach jeder Fahrt die ich machte, war er wieder ein Stück gewachsen. Ich glaube es waren meine schönsten Tage im Leben. Ich war noch nie so glücklich.
Im Juni standen nun die Prüfungen an. Claudia war bereits im fünften Monat schwanger. Meine Gedanken waren leider nicht bei der Prüfung. Ich dachte immer nur an Claudia und unser Kind. Das Ergebnis war, daß ich durch die Prüfung nicht bestand. Auch die Wiederholungsprüfung schaffte ich nicht. Was im Zeugnis zu sehen ist. Die fünf in der Schiffahrtstechnik hat mir das Genick gebrochen. Ich war zu unkonzentriert. Ich hatte nun zwei Jahre gelernt und doch keinen Facharbeiter.
Die nächsten zwei Monate verbrachte ich in Berlin. Ich versuchte dort Arbeit zu finden, aber es wollte nicht klappen.
Am 20.08.1990 fuhr ich für ein paar Tage nach Grimmen. Meine Eltern sollten auch erfahren, was mit ihrem Sohn los ist. Sehr erfreut waren sie natürlich nicht über meine Prüfung. Was natürlich zu verstehen war. Am 23.08.1990 kam ein Brief für mich. In diesem Brief stand, daß ich am 04.09.1990 zur NVA nach Stralsund-Dänholm muß. Ich blieb noch bis zum 26.08.1990 in Grimmen. Bevor ich am nächsten Tag nach Berlin fuhr.
Was ich dort erfuhr, zerstörte mein Leben. Ich wünschte mir, ich wäre nicht nach Grimmen gefahren, dann wäre es vielleicht nicht passiert, aber es sollte nicht sein.
Ich fuhr also nach Berlin. Als ich bei Claudias Eltern ankam, war keiner zu Hause. Das wunderte mich, denn ihr Vater war arbeitslos und Claudia war ja nun bereits kurz vor der Entbindung. Zuerst dachte ich, daß es schon soweit wäre und alle im Krankenhaus sind um auf meinen Sohn zu warten. Es sollte aber nicht so sein. Ich wartete vor dem Haus. Ich weiß nicht wie lange ich gewartet habe. War es eine Stunde, zwei oder drei, ich weiß es nicht mehr. Irgendwann dann, kam ihr Vater schwarz gekleidet nach Hause. Ich fragte wo Claudia sei. Ich wollte erst gar nicht verstehen, was er meinte. Claudia tot, daß konnte nicht sein, sie war doch gerade erst achtzehn Jahre alt. Er erzählte mir wie es passiert war. Es war am 24.08.1990 Claudia und ihre Mutter gingen am Abend noch einmal spazieren. Claudias Vater blieb zu Hause und bereitete das Abendbrot vor. Gegen 19:30 Uhr klingelte es an der Tür und ein Polizist stand davor. Er sagte ihm, daß Claudia und seine Frau bei einem "Verkehrsunfall" ums Leben gekommen sind. Verkehrsunfall? Ihr Vater wollte es genauer wissen. Die beiden wollten über eine Straße gehen, als ein Fahrzeug beide überfuhr. Laut Zeugenaussagen fuhr das Auto erst schneller als die beiden auf der Straße waren. Der Fahrer ein kahlköpfiger junger Mann, fuhr einfach weiter, aber es war nur ein Verkehrsunfall.
Als ich das gehört hatte, konnte ich es irgendwie nicht fassen. Sie konnte doch nicht tot sein, das kann sie mir doch nicht antun. Ich lief einfach aus dem Haus und rannte durch die Gegend, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Ich wollte auch nicht mehr leben, ja das waren meine Gedanken. Was sollte ich denn noch hier, alles was mir hier lieb war, war weg. Ich sah keinen Sinn darin noch weiter zu leben. Ich fuhr zum Bahnhof. Ich beschloß, auf der Fahrt dorthin, mich umzubringen, aber wie. An einigen Bahnsteigen standen Züge. Ich legte mich vor eine Lok und wartete das sie los fuhr. Sie fuhr auch irgendwann los, nur leider in die verkehrte Richtung. Ich wurde noch wütender und machte alle Menschen am Bahnhof an. Bis ich von einem, durch einen Schlag ins Gesicht, wieder halbwegs zur Besinnung gebrach wurde.
Ich fuhr dann mit dem nächsten Zug nach Grimmen zurück. Die letzten paar Tage bis zur Einberufung blieb ich in Grimmen. Das einzige was mich noch an sie erinnerte waren ein paar Haare, die sie mir mal schenkte und die Erinnerung.
Die Armeezeit
Zeitraum: 04.09.1990-05.10.1991
Als ich am 04. 09. 1990 nach Stralsund fuhr, traf ich dort Menschen die das gleiche Ziel hatten.
Sie wollten vorher noch etwas trinken gehen, zur Feier des Tages. Da mir alles egal war, ging ich mit. Aus dem Trinken wurde natürlich ein Besäufniss und wir gingen betrunken zum NVA-Lager. An diesem Tag wurden uns nur noch die Zimmer zu gewiesen. In den nächsten Tagen wurden wir eingekleidet und eingewiesen und jeden Abend war ich betrunken. So lief es in den nächsten Monaten weiter. Bis ich dann nach Peenemünde versetzt wurde. Dort lernte ich ein Mädel kennen. Ich wurde wieder ruhiger und trank nicht mehr soviel.
Im Februar 1991 wurde ich dann von der Bundeswehr übernommen. Ich sollte für ein Land geradestehen, das ich nicht einmal kannte. Ich konnte es nicht mit meiner Einstellung vereinbaren. Ich ging wieder in die Kneipen, dadurch ging es dann auch wieder bergab in meiner Beziehung. Bis ich dann in die westlichen Bundesländer versetzt wurde.
Ich fuhr nicht zur neuen Einheit, sondern hielt mich in Berlin auf. Dort kam ich mit kriminellen Objekten zusammen. Ich lernte das Einbrechen und Stehlen. Ja, es wurde mir beigebracht. Es tat mir nicht einmal leid, das ich das tat, was ich tat. Nein im Gegenteil, ich sagte mir, ich muß doch überleben. Als wenn es eine Entschuldigung dafür sein könnte. So hielt ich es einen ganzen Monat aus dann meldete sich mein Gewissen. Nur es war leider schon zu spät.
Ich fuhr von Berlin nach Kiel zu meiner "neuen" Einheit. Die ja gar nicht mehr für mich zuständig war. Dort blieb ich dann zwei Tage. Nach zwei Tagen schickte man mich zurück nach Peenemünde, aber ich machte noch einen Abstecher nach Berlin. Ich hatte mal wieder kein Geld und nichts zu Essen. Ich blieb eine Nacht in Berlin, aber nach dieser Nacht war mein Seesack wieder mal bis zum Rand gefüllt. Ich hatte eine Kaufhalle besucht.
Ich fuhr dann von Berlin weiter nach Peenemünde. Dort mußte ich sofort zum Kompaniechef, der mir zwei Möglichkeiten gab:
1. Vereidigung und sofortige Entlassung
2. die zwölf Monate Wehrpflicht beenden und dann die Entlassung.
Ich nahm die zweite Möglichkeit, so daß ich noch einen Monat dienen mußte. Innerhalb dieser vier Wochen wurde ich wie ein Nichts behandelt. Ich war ja ein Fahnenflüchtiger und habe somit mein "Vaterland" verraten.
Die Menschen mit denen ich zusammen auf dem Minensuch- und Räumboot "Sommerda" war, sogar die verletzten mich. Menschen mit denen ich Dienst hatte, Nächte lang Skat gespielt habe, mit denen ich trinken und feiern war, sie kannten mich nicht mehr.
Ich war eben ein "Fahnenflüchtiger". Ich sah es aber anders. Wie kann ein Mensch erst für eine Gesellschaftsordnung kämpfen und dann für eine ganz andere. Erst war es unser Feind, dann auf einmal soll ich es verteidigen. Nein nicht mit mir. Ja so dachte ich damals. Ich konnte es nicht verstehen. Ich konnte es nicht verstehen. Ich konnte auch die Menschen nicht verstehen, die dieses taten.
Ich kam mit meinen Gedanken nicht klar und fing wieder an zu trinken. Ich wollte vergessen und merkte nicht, das ich vom Alkohol abhängig wurde. Die Tage bis zur Entlassung rückten auch immer näher. Ich fing an mir Gedanken zu machen, was mit mir sein wird, wenn ich entlassen bin. Zu meinen Eltern konnte ich nicht. Sie konnten es nicht fassen, daß ich fahnenflüchtig geworden war und wollten mit mir nichts mehr zu tun haben. Ich glaube aber es war das Werk meines Vaters. Ich kann und will nicht glauben, das meine Mutter es wollte. Ich hatte nicht viele Möglichkeiten, da man ja von einem Tag auf den anderen keine Wohnung und auch keine Arbeit bekommt. Denn in unserer Gesellschaft gibt es ein Motto:
ohne Arbeit keine Wohnung
und
ohne Wohnung keine Arbeit.
Was soll man dann machen.
Ich spielte schon mit dem Gedanken auf der Straße zu leben.
Als der Tag der Entlassung kam war es wie ich es mir gedacht hatte. Ich mußte auf die Straße.
Zeitraum: 04.09.1990-05.10.1991
Als ich am 04. 09. 1990 nach Stralsund fuhr, traf ich dort Menschen die das gleiche Ziel hatten.
Sie wollten vorher noch etwas trinken gehen, zur Feier des Tages. Da mir alles egal war, ging ich mit. Aus dem Trinken wurde natürlich ein Besäufniss und wir gingen betrunken zum NVA-Lager. An diesem Tag wurden uns nur noch die Zimmer zu gewiesen. In den nächsten Tagen wurden wir eingekleidet und eingewiesen und jeden Abend war ich betrunken. So lief es in den nächsten Monaten weiter. Bis ich dann nach Peenemünde versetzt wurde. Dort lernte ich ein Mädel kennen. Ich wurde wieder ruhiger und trank nicht mehr soviel.
Im Februar 1991 wurde ich dann von der Bundeswehr übernommen. Ich sollte für ein Land geradestehen, das ich nicht einmal kannte. Ich konnte es nicht mit meiner Einstellung vereinbaren. Ich ging wieder in die Kneipen, dadurch ging es dann auch wieder bergab in meiner Beziehung. Bis ich dann in die westlichen Bundesländer versetzt wurde.
Ich fuhr nicht zur neuen Einheit, sondern hielt mich in Berlin auf. Dort kam ich mit kriminellen Objekten zusammen. Ich lernte das Einbrechen und Stehlen. Ja, es wurde mir beigebracht. Es tat mir nicht einmal leid, das ich das tat, was ich tat. Nein im Gegenteil, ich sagte mir, ich muß doch überleben. Als wenn es eine Entschuldigung dafür sein könnte. So hielt ich es einen ganzen Monat aus dann meldete sich mein Gewissen. Nur es war leider schon zu spät.
Ich fuhr von Berlin nach Kiel zu meiner "neuen" Einheit. Die ja gar nicht mehr für mich zuständig war. Dort blieb ich dann zwei Tage. Nach zwei Tagen schickte man mich zurück nach Peenemünde, aber ich machte noch einen Abstecher nach Berlin. Ich hatte mal wieder kein Geld und nichts zu Essen. Ich blieb eine Nacht in Berlin, aber nach dieser Nacht war mein Seesack wieder mal bis zum Rand gefüllt. Ich hatte eine Kaufhalle besucht.
Ich fuhr dann von Berlin weiter nach Peenemünde. Dort mußte ich sofort zum Kompaniechef, der mir zwei Möglichkeiten gab:
1. Vereidigung und sofortige Entlassung
2. die zwölf Monate Wehrpflicht beenden und dann die Entlassung.
Ich nahm die zweite Möglichkeit, so daß ich noch einen Monat dienen mußte. Innerhalb dieser vier Wochen wurde ich wie ein Nichts behandelt. Ich war ja ein Fahnenflüchtiger und habe somit mein "Vaterland" verraten.
Die Menschen mit denen ich zusammen auf dem Minensuch- und Räumboot "Sommerda" war, sogar die verletzten mich. Menschen mit denen ich Dienst hatte, Nächte lang Skat gespielt habe, mit denen ich trinken und feiern war, sie kannten mich nicht mehr.
Ich war eben ein "Fahnenflüchtiger". Ich sah es aber anders. Wie kann ein Mensch erst für eine Gesellschaftsordnung kämpfen und dann für eine ganz andere. Erst war es unser Feind, dann auf einmal soll ich es verteidigen. Nein nicht mit mir. Ja so dachte ich damals. Ich konnte es nicht verstehen. Ich konnte es nicht verstehen. Ich konnte auch die Menschen nicht verstehen, die dieses taten.
Ich kam mit meinen Gedanken nicht klar und fing wieder an zu trinken. Ich wollte vergessen und merkte nicht, das ich vom Alkohol abhängig wurde. Die Tage bis zur Entlassung rückten auch immer näher. Ich fing an mir Gedanken zu machen, was mit mir sein wird, wenn ich entlassen bin. Zu meinen Eltern konnte ich nicht. Sie konnten es nicht fassen, daß ich fahnenflüchtig geworden war und wollten mit mir nichts mehr zu tun haben. Ich glaube aber es war das Werk meines Vaters. Ich kann und will nicht glauben, das meine Mutter es wollte. Ich hatte nicht viele Möglichkeiten, da man ja von einem Tag auf den anderen keine Wohnung und auch keine Arbeit bekommt. Denn in unserer Gesellschaft gibt es ein Motto:
ohne Arbeit keine Wohnung
und
ohne Wohnung keine Arbeit.
Was soll man dann machen.
Ich spielte schon mit dem Gedanken auf der Straße zu leben.
Als der Tag der Entlassung kam war es wie ich es mir gedacht hatte. Ich mußte auf die Straße.
Das Leben auf der Straße
Zeitraum: 06.10.1991 - 15.01.1992
Mein erster Tag auf der Straße war der 06.10.1991. Ich hatte keine Aussicht auf Arbeit und mit meinen Eltern verstand ich mich so gut, daß es fast jeden Tag zu Auseinandersetzungen kam. Ja was sollte ich machen?
Ich setzte mich in den erst besten Zug und bin abgehauen. Ich landete in Berlin.
Als ich nun in Berlin auf dem Bahnhof stand, wurde mir klar, das ich gar nicht wußte was ich tun sollte. Als erstes gab ich erstmal mein Gepäck ab, da es ja sowieso nur lästig war. Ich wußte von einem Freund, der auch schon mal auf der Platte war (Platte=Straße), daß man als erstes zum Deutschen Roten Kreuz gehen sollte, um zu erfahren wo Essenstellen sind oder wo man übernachten konnte als Obdachloser. Ich wußte aber nicht wie schwer es sein würde dort hinzugehen. Nein, nicht das ich nicht wußte wo das DRK ist, sondern den ersten Schritt zu tun, zurück in eine tiefer liegende soziale Schicht. Es gibt eigentlich nur noch eine tiefer liegende Schicht, die Abhängigkeit von Drogen. Doch die eine Schicht ist gar nicht soweit entfernt von der anderen. Ich bin nicht zum DRK gegangen. Die erste Nacht hatte ich auf dem Hauptbahnhof (Ex-Ostbahnhof) verbracht. Dort hatte ich auch den ersten Kontakt mit Obdachlosen, die schon seit Wochen, Monaten oder sogar seit Jahren auf der Platte lebten. Ich kam mit Ihnen ins Gespräch, immerhin war ich jetzt einer von ihnen.
Der Erste den ich kennenlernte hieß Detlef und er war ein Brandenburger. Er lebte schon seit einem Jahr auf der Platte. Warum? Er kam während der Wende aus dem Gefängnis und hatte nichts. Seine "Freunde" hatten ihn verlassen und Arbeit hatte er keine gefunden. So ist er dann hier gelandet.
Ein Zweiter, 53 Jahre alt, körperlich behindert, lebte schon seit vier Monaten in Berlin. Warum? Er wurde von der Polizei gesucht.
Ein Dritter, 84 Jahre alt, im Rollstuhl, gestorben am 01.01.1992, lebte sogar schon seit elf Jahren auf der Straße. Wir nannten ihn alle nur Opi, weil er der Älteste unter uns war.
Es waren natürlich auch Jugendliche dort. Wie zum Beispiel zwei Mädchen, 15 und 16 Jahre alt. Sie kamen aus Waren. Sie hatten Streit mit ihren Eltern und sind abgehauen.
Auch eine Stralsunderin war dort. Sie hatte ich dann aber am nächsten Tag aus den Augen verloren.
Doch nun zurück zum Hauptbahnhof. In der Nacht vom 06.10. zum 07.10.1991 erzählte man mir wie das "Leben auf der Straße" so abläuft. Kalle, der Behinderte, gab mir ein paar Adressen von Essenstellen. Wie zum Beispiel:
- Das Franziskanerkloster
- Die Kirche am Südstern
- Der Wasserturm.
Als erstes mußte ich mir eine Fahrkarte kaufen, das Geld dafür bekam ich von Detlef. Es mußte aber eine Karte über einhundert Kilometer sein (Fernfahrkarte). Ich erfuhr auch warum. Man konnte nur auf einem Bahnhof übernachten, wenn man eine gültige Fahrkarte hatte. Aber warum über 100 Kilometer? Man kaufte sich abends eine Fahrkarte für den nächsten Tag, am darauffolgenden Tag bringt man sie wieder zurück und bekommt das Geld wieder zurück. Dies geht aber nur bei Fernfahrkarten. Kurz nach Mitternacht kam die Trapo (Transportpolizei) und kontrollierte alle. Sie wissen zwar ganz genau, daß wir auf der Platte leben, aber wenn man eine Fahrkarte hat, können sie nichts unternehmen.
Am frühen Morgen, gegen 5:00 Uhr, hieß es für uns "guten Morgen". Zuerst wird sich erst mal geduscht. Es kostet zwar fünf Mark, aber was soll man machen. Als wir dann fertig waren, fuhren wir zum Bahnhof Zoo. Mir wurde ganz anders, als ich sah was dort los war. Immer häufchenweise lagen dort vier bis sechs Menschen auf der kalten Erde und schliefen. Das schlimme daran war, daß das Durchschnittsalter dieser Menschen um die fünfundzwanzig Jahre war. Ja, es waren zum größten Teil alles Menschen die ihr Leben noch vor sich hatten.
Wir gingen an ihnen vorbei zum DRK. Dort bekam jeder einen Kaffee und eine Schmalzstulle. Als wir dann "gefrühstückt" hatten, fuhren wir zum Hauptbahnhof zurück. Dort "besorgten" wir uns erst mal eine Zeitung. Gegen 7:00 Uhr ging es dann los, jetzt hieß es "arbeiten".
Detlef fuhr nach Schönefeld, um dort sein Glück mit den Telefonen zu machen. Manuela und Kerstin blieben hier um zu schnorren (betteln).
Kalle und ich fuhren zum Lichtenberger Bahnhof. Kalle hatte noch am Abend vorher alles vorbereitet. Er ging gleich zu einem der Telefone und rief irgend jemanden an, mir schien als wenn am anderen Ende keiner abnahm, denn er legte nach kurzer Zeit wieder auf. Als ich ihn darauf hin ansprach sagte er nur: "Man nehme ein Stück Holz, ca. 4 cm lang, 1,5 cm breit und drei bis fünf mm stark, beklebt dieses mit einem Kaugummi (ohne Zucker, haftet besser); man macht dann die Geldklappe auf und klebt das Holz ran. Nun kann das Geld nicht mehr in die Klappe fallen, falls ein Anrufer nicht durch kommt und wir können uns das Geld holen."
So "arbeiteten" wir bis 14:00 Uhr, dann fuhren wir zurück zum Bahnhof Zoo. Dort warteten wir bis wieder alle zusammen waren. Dann fuhren wir nach Pankow zum Franziskanerkloster um Mittag zu Essen. Dort gibt es von Montag bis Donnerstag zwischen 15:00 Uhr und 17:00 Uhr und Samstag/Sonntag zwischen 13:00 Uhr und 15:00 Uhr Mittag. Vor dem Essen wurde erst mal gebetet. Es hatte richtig geschmeckt. Erst dachte ich, daß es der Hunger gemacht hat, aber an manchen Tagen hat es besser geschmeckt als zu Hause. Ja, mein zu Hause war ja nun die Platte.
Ich dachte oft an Grimmen, meine "Heimatstadt". Meine richtige Heimatstadt ist Berlin. Diese Stadt gab mir ein neues zu Hause, als ich es am nötigsten brauchte. Sie gab mir den Willen zum überleben. Im tiefsten Herzen bin ich ein Berliner.
Doch nun wieder zurück zum 07.10.1991. Gegen 17:00 Uhr waren wir dann wieder auf dem Hauptbahnhof. Wir gaben erst mal die Fahrkarten zurück und fuhren dann zum Alex (Alexanderplatz). Dort kauften wir uns eine Neue, für den 08.10.1991. Wir verglichen dann auch unsere Einnahmen vom heutigen Tag. Wir hatten ein bißchen über einhundert Mark "erarbeitet". Was mich wunderte war, daß das Geld brüderlich geteilt wurde. Jeder von uns bekam ein Fünftel vom Geld. Irgendwie schien Kerstin es mitbekommen zu haben. Sie sagte nur: "Das ist bei uns Gesetz". Alle bekamen den gleichen Anteil, egal wie viel man mitgebracht hat.
Irgendwie ist es auf der Platte sowieso anders als im normalen Leben. Hier hat man Freunde, richtige Freunde. Sie sind nicht nur da wenn es einem gut geht. Nein auch wenn es einem schlecht geht oder gerade dann sind sie für einen da. Wer auf der Platte lebt, lernt die wahre Freundschaft kennen. Es ist nicht so, wie im normalen Leben, wo jeder nur an sich denkt. Brauchte einer von uns etwas, was ein anderer hatte, so bekam man es. Es wurde nicht gefragt, wann oder ob man es wieder bekommt. Es war normal, daß man sich half. Man griff sich unter die Arme wo man nur konnte, niemals wurde einer im Stich gelassen. Das mußte aber auch so sein, sonst würde man auf der Platte nicht durchhalten. Alleine auf der Platte zu leben, ist das schlimmste was einem von uns passieren könnte. Auf der Platte gibt es eigene Gesetze. Wer gegen sie verstößt, wird von allen verstoßen. Das gleicht auf der Platte dem Untergang. Ich habe die ganze Zeit über nicht einmal gesehen, daß jemandem nicht geholfen wurde, wenn er Hilfe brauchte. Auf der Platte leben alle wie in einer großen Familie. Alle sind gleichgestellt. Es gibt keinen der besser ist als der andere. Wenn man aber im normalen Leben sich manche Menschen ansieht, dort wollen doch die meisten besser sein als die anderen. Ich habe mir oft gewünscht, daß die gesamte Menschheit eine Zeit auf der Platte leben müßte. Viele Menschen könnten dabei noch etwas lernen. Vielleicht würde dann doch noch die Vernunft siegen, aber es bleibt halt ein Wunschtraum.
Doch nun zurück zum wahren Leben. So verging dann ein Tag nach dem anderen und dann hatten wir schon den 20.10.1991. Es war ein Freitag. Das hieß für uns, auf zum Sozialamt. Das machten wir jeden Monat einmal. Diesmal fuhren wir zum:
Sozialamt
Berlin Köpenick
Alt-Köpenick 21
O-1170 Berlin
Dieses Sozialamt ist für die im Monat Mai geborenen zuständig. Jeder von uns bekam drei Tagessätze (ein Tagessatz=15 DM) und einen Schein, für eine Fahrkarte in die Heimatstadt. Wir hatten den Leuten erzählt, daß wir auf dem Weg nach Berlin bestohlen wurden und nicht mehr nach Hause kommen. Ich wußte gar nicht wie leicht man unserem "Vater Staat" das Geld aus der Tasche ziehen kann, aber mir tat es nicht leid. (Übersicht: Sozialämter)
Da das Franziskanerkloster heute ja geschlossen hat, dachten wir uns, daß man sich ja auch einmal im Monat eine Gaststätte leisten kann. Auch wenn wir auf der Platte leben, brauchen wir nicht unbedingt auf alles zu verzichten. Wir fuhren in meine Lieblingsgaststätte:
Wendenschloß
Berlin Köpenick
0-1170 Berlin
Dort aßen wir in Ruhe Mittag und tranken Wein. Gegen 14.00 Uhr fuhren wir zum Alex. Wir haben an diesem Tag nicht mehr "gearbeitet". Als wir so über den Alex schlenderten, trafen wir einen anderen Penner. Er war 29 Jahre alt und seit acht Jahren auf der Platte. Er verdient sich sein Essen auf musikalische Art, er spielt Gitarre. Er lud uns zu einer Feier auf dem Bahnhof Zoo (Zoologischer Garten) ein. Was man auf der Platte feiern kann? Die Freiheit, die Gleichheit und es wird gefeiert wenn es einem von uns gelungen ist in ein besseres Leben aufzusteigen.
Wir fuhren also zum Bahnhof Zoo. Man empfing uns wie alte Bekannte, obwohl ich so gut wie keinen von ihnen kannte. Ich sah an diesem Tag auch zum ersten mal Fixer und Strichjungen. Es war keine Feier wie im normalen Leben. Es war bedrückt, keiner wollte so richtig lustig werden. Ich sprach darauf hin einen Punk an. Er erklärte mir auch warum es so war. Einer von uns hatte es geschafft ins "normale Leben" zurück zukehren, aber er gehörte eben zu uns. Es war genauso als wenn jemand in einer richtigen Familie stirbt. Man weiß er wird nicht mehr wiederkommen.
Ich lernte an diesem Abend aber auch eine Art Haß kennen, den ich vorher noch nie gesehen hatte.
Es kamen drei Männer, Polizisten in Zivil. Einige der Punks gehörten einer Organisation an (RFB). Ich hatte nie gedacht, daß auch ich einmal so hassen könnte. Als die drei Männer den Bahnhof betraten, standen um die zehn Punks auf und gingen den Männern entgegen. Sie hatten einen Ausdruck in den Augen, wie ich ihn nur von Filmen her kannte. Es war eine Art von Haß, tödlicher Haß. Die drei Zivilbeamten haben die Wartehalle lieber verlassen.
Ich unterhielt mich nach diesem Vorfall mit einigen Punks über Politik und Deutschland. Ich bekam auch ein Flugblatt zum lesen, darauf stand das, was in meinem Kopf schon lange feststand. Wir brauchen eine neue Gesellschaftsordnung.
Die Nacht verging leider viel zu schnell. Es war auf einmal schon wieder 05:00 Uhr und jeder ging wieder seiner Arbeit nach. Dieser Sonnabend war der erste und letzte Tag, an dem ich versucht hatte zu schnorren. Es liegt eben nicht in meiner Natur, andere fremde Menschen um Geld zu bitten. Ich bin zu stolz, um so etwas zu tun, das glaube ich zumindest. Ich hatte am Nachmittag gerade mal 10 DM. Ich hatte Angst, angst davor, daß die anderen glauben könnten, ich will auf ihre Kosten leben.
Ich machte einen Fehler.
Ich hatte im Laufe des Vormittags Kontakt mit einem Schlepper. Er hatte mir etwas von Arbeit, Geld und von einem Zimmer erzählt. Ich ging ihn suchen und fand ihn. Ich sagte ihm, daß ich mir sein Angebot überlegt habe und annehmen wollte. Er fuhr darauf hin mit mir in ein Café in der Nähe vom Kuhdamm (Kurfürstendamm). Er brachte mich zu einem Mann. Dieser erklärte mir kurz worum es ging. Es waren Zeitungen. Ich war an eine Drückerkolonne geraten, doch ich sah nur das Geld und ein eigenes Zimmer. Ich fuhr mit diesem Mann nach Braunschweig und dann weiter nach Wolfenbüttel. Die Truppe hatte sich dort ein Bauernhaus gemietet. Die ersten Tage mußte ich mit einem von ihnen von Tür zu Tür gehen um zu lernen wie man Leute überredet eine Zeitung zu abonnieren. Ich durfte zum Beispiel nie über Zeitungen reden, weil das die Leute gleich abschreckt. Also redet man über Hefte. Wenn man einen Kugelschreiber in der Hand hält, könnte man diesen fallen lassen. Wenn man will ist der Kunde schneller als man selbst und man kann dann unauffällig einen Fuß in die Tür setzen, damit der Kunde die Tür nicht zuschlagen kann. Das ist einiges aus dem einmal eins des Drückers. Ich schaffte es auch. Nur die Methoden sagten mir absolut nicht zu, denn wir hatten die Bürger na der Tür nur betrogen. Es gibt aber immer wieder Menschen, die auf die Tricks der Drücker reinfallen. Ich wußte, daß sie mich freiwillig nicht gehen lassen würden. Ich verschwand über Nacht und nahm den Lohn einer Woche mit. Ich wußte das ich mir damit Todfeinde geschaffen hatte. Es war mir egal. Was hatte ich denn zu verlieren, außer das Leben.
Ich fuhr nach Hamburg und lebte zwei Tage im Hotel. Danach fuhr ich nach Berlin zurück. Als ich an diesem Abend zum Hauptbahnhof fuhr, traf ich dort Kalle und die anderen. Ich erzählte ihnen was ich getan hatte und warum. Sie vergaben mir. Wie jeden Abend wurde das Geld auch diesmal geteilt. An diesem Abend kauften wir aber keine Fahrkarte. Wir fuhren gegen Mitternacht nach Erkner. Dort wird gegen 01:00 Uhr ein Zug bereitgestellt. In diesem Zug "schliefen" wir dann auch bis 04:45 Uhr, dann wurden wir vom Zugpersonal rausgeworfen. Als wir nach unserem täglichen "Frühstück" wieder "arbeiten" wollten, machte Kalle einen Vorschlag. Wir fuhren nach Schönefeld und setzten uns dort in eine S-Bahn nach Oranienburg. Während der Fahrt schliefen wir, so daß wir endlich mal ausschlafen konnten. Wir fuhren danach auch gleich zum Franziskanerkloster. Dort trafen wir dann auch ein Mädel vom Bahnhof Zoo. Sie lud Kerstin, Manuela und mich zu einer Party ein. Nachdem wir bis 20:00 Uhr gearbeitet hatten und dann wieder auf dem Hauptbahnhof waren, warteten wir auf Jana. Sie kam dann auch bald und wir zogen durch halb Berlin, um alle möglichen Leute zu holen. Gegen 22:30 Uhr hatten wir dann auch alle zusammen. Dann fuhren wir zu einem Friedhof. Dort wurde ein Lagerfeuer entfacht. Die erste halbe Stunde saßen wir nur um das Feuer und trauerten über die, die nicht mehr unter uns weilten. Später erzählte man dann über den Tod, Gott und die Welt. So wie diese Menschen über das Leben und den Tod dachten, hatte ich es noch nie gemacht. Nach dieser Nacht dachte ich aber öfter (auch heute noch) über den Sinn unseres Lebens nach. Wieso leben wir überhaupt. Wenn man all diesen Schmerz und die Ungerechtigkeit auf der Welt sieht, fragt man sich doch, ist der Tod nicht die Erlösung nach einem sinnlosen Leben? Was versteht man heute denn unter Leben, abgesehen von der ständigen Gewalt in diesem Land. Sicher gibt es auch schöne Tage, aber überwiegen sie? Viele Jugendliche denken wie ich. Doch es gibt auch andere Gründe sich dem Tod zu übergeben. Die Fixer, viele von ihnen geben sich den Goldenen Schuß (Überdosis). Wissen sie aber auch warum? Nein, oder habt ihr euch schon einmal Gedanken darüber gemacht. Sie kommen einfach nicht mehr mit ihrem Leben klar. Sie schaffen es nicht mehr aus der Arbeitslosigkeit und von den Drogen wegzukommen. Viele würden gerne vernünftig leben, doch ohne Hilfe von außen schaffen sie es nicht. Aber Hilfe von außen, kann man in dieser Gesellschaft nicht bekommen, denn jeder denkt nur an sich. Es reicht schon, wenn sie sich mal sehen könnten, wenn ihnen ein Penner entgegen kommt. Wie reagieren sie? Auch Penner haben Gefühle, wissen sie wie weh es tun kann, wenn man als Penner herablassend angeschaut wird? Es sind doch auch nur Menschen, genauso wie Sie und ich. Nur sie leben in einer sozial tieferen Schicht. Denkt aber immer daran, auch ihr könnt eines Tages dort landen. Ja, über solche Dinge haben wir uns Gedanken gemacht. Warum auf einem Friedhof? Dort waren wir ungestört. Wenn wir dort sind, liegt die Welt weit hinter uns, keiner kann uns sagen, was wir tun sollen. Doch jede Nacht geht einmal zu Ende. Wir verabschiedeten uns, doch eines war klar, nächstes Jahr sind wir wieder dabei.
Wir fuhren dann zurück zum Hauptbahnhof, um Kalle und Detlef zu suchen, doch sie waren nicht da. Wir fuhren zum Bahnhof Zoo, dort trafen wir wie jeden Morgen, Opi. Er sagte uns, daß die beiden für ein paar Tage untertauchen mußten, weil die Polizei gestern Nacht verstärkte Kontrollen machte. Da Kalle ja von der Polizei gesucht wurde, verschwand er lieber. Kalle ließ mir noch ausrichten, daß ich mich ein wenig um Manuela und Kerstin kümmern sollte. Wir hinterließen Opi eine Nachricht für Kalle, da wir zum Lichtenberger Bahnhof "umzogen". Dort hatten wir dann nach ein paar Tagen Kontakt mit den Lichtenberger Glatzen. Ihnen war aufgefallen, daß wir Tag und Nacht auf dem Bahnhof waren. Wir unterhielten uns dann auch mal mit ihnen. Als sie hörten, daß wir auf der Platte lebten, boten sie uns an, bei ihnen zu übernachten. Wir nahmen das Angebot natürlich dankend an. Die Wohnung von Bomber (einer der Glatzen) war wirklich gut eingerichtet. Nur an den Wänden waren Bilder und Parolen von Adolf Hitler, aber das störte mich diesmal wenig, denn wir waren froh endlich mal wieder in einem Bett zu schlafen. Am nächsten Tag trafen wir dann auch Kalle und Detlef in Lichtenberg. Es war Montag, 31.10.1991. Die Polizei hatte sich wieder beruhigt und der "Alltag" begann wieder, bis zum 17.11.1991.
An diesem Tag trafen wir die Stralsunderin wieder. Sie hatte sich verändert, sie war abhängig. Sie war an die falschen Leute gekommen. Sie verdiente ihr Geld jetzt auf dem Strich. Ich fragte sie, wie es dazu kam. Sie fing an zu erzählen: "Ich bin zum Bahnhof Zoo gefahren und traf dort alte Bekannte. Sie haben mich eingeladen und füllten mich ab (betrunken machen). Danach spritzten sie mir Drogen." Sie wurde still und fing an zu weinen. "Ich wurde abhängig und sie schickten mich anschaffen."
Wir ließen sie nicht weiterreden. Für uns stand fest, wir mußten ihr helfen. Doch wie? Für uns gab es leider nur eine Möglichkeit, Kaltentzug. Wir suchten uns ein verlassenes Haus und banden sie fest. Einer von uns mußte jetzt immer bei ihr bleiben. Wir mußten sie ja füttern, denn losbinden konnten wir sie nicht. Drogen bekam sie natürlich keine. Es war ein grausamer Kampf zwischen Leben und Tod, doch das hatten wir gewußt. Der Kampf dauerte über vier Wochen. Der körperliche Entzug war ja leicht, daß schlimmste war ja eigentlich der psychische Druck. Die meisten Menschen schaffen es ja auch nicht, kalt zu entziehen, weil sie diesen Druck nicht aushalten. Am 20.12.1991 hatten wir es geschafft, sie war clean. Sie hatte aber auch einen starken Willen gehabt. An einigen Tagen aber hatten wir gedacht, daß sie es nicht schafft. Sie stand kurz vor dem Wahnsinn.
Bis zu meiner Abreise ins normale Leben, ist sie auch sauber geblieben. Seit diesen Wochen bin ich ein extremer Gegner von Drogen. Sie blieb danach in unserer Truppe. Es war bestimmt auch besser so. Weihnachten kam ja nun immer näher. Es wurde ein Weihnachtsfest, das ich bestimmt nie vergessen werde. Wir feierten im Franziskanerkloster, natürlich ohne Gänsebraten und Alkohol, wie man es von zu Hause gewohnt war. Es wurde trotzdem ein schönes Fest. Wir bekamen sogar Geschenke, auch wenn es nur Kleinigkeiten waren, wir wußten aber es kommt von Herzen. Wir machten auch die Mitternachtsmesse mit. Für mich war das ein besonderes Ereignis, weil ich so etwas noch nicht kannte. Ich habe sogar mitgesungen, auch wenn ich nicht an Gott glaube. Wir wollten so unseren Dank ausdrücken. Es war alles so friedlich in dieser Nacht, alle waren glücklich und zufrieden. Keiner hatte uns wie Penner behandelt, wir waren einfach nur Menschen denen es schlechter ging als anderen. Als zum Schluß die Schachtel für die Geldspenden rum gegeben wurde, legten auch wir etwas rein, obwohl wir unser Geld selber dringend brauchten. Ich werde diesen Tag nie vergessen, genauso wenig wie den morgen nach Silvester, den 01.01.1992. Wir hatten am Silvesterabend eine Feier auf dem Hauptbahnhof. Zusammen mit Opi wollten wir dort hin fahren, doch er wollte nicht mitkommen. Hätten wir gewußt was passiert, hätten wir ihn auf jeden Fall mitgenommen. So gaben wir ihm Geld und ein paar von seinen Lieblingszigarren. Leider wußten wir nicht, daß wir ihn nie wieder sehen würden. Als wir am 01.01.1992 zum Bahnhof Zoo fuhren war Opi weg und in der Wartehalle war eine toten Stille, obwohl viele Obdachlose dort waren. Dann hörten wir was passiert war.
Die Trapo hatte Opi in der Silvesternacht aus der Wartehalle geworfen. Er hatte keine Fahrkarte und war damit nicht berechtigt sich dort aufzuhalten. Er ist in dieser Nacht erfroren. Seit diesem Tag spürte auch ich diesen Haß auf die Polizei in mir. An diesem Tag hätte uns kein Polizist begegnen dürfen. Wir hätten ihn wahrscheinlich zusammengeschlagen. Auch wenn er unschuldig gewesen wäre, einfach nur weil er Polizist war. Wie kann man einen Menschen, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, so sterben lassen. Für mich war das ein Mord. Ein Mord an einem wehrlosen Menschen. Er saß im Rollstuhl, wo sollte er in der Nacht hin? Schuld an diesem Tod, hat ja eigentlich nicht der Polizist. Er hat ja nur seine Pflicht getan. Nein Schuld hat dieses "demokratische" System. Ein System wo wehrlose Menschen auf die Straße, zum erfrieren, geworfen werden. Ich werde Opi und alles was mit ihm zusammenhängt nie vergessen. Das 1992 hatte ja nun für uns schön begonnen.
Nachdem wir die erste Woche im neuen Jahr rumgekriegt hatten, passierte mir etwas. Am Abend des 08.01.1992 kontrollierte mich die Trapo und ich bekam ein Bahnhofsverbot. Ich hatte keine Fahrkarte und das nutze die Trapo gleich aus. Mir war das Bahnhofsverbot ja ziemlich egal, ich lebte auf der Platte und hatte keinen festen Wohnsitz. Also was sollten die mir tun. Was hätte mir passieren können? Na ja, eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, wunderbar. Im Gefängnis habe ich wenigstens ein Dach über dem Kopf, brauche keine Miete zahlen und bekomme mein täglich Brot. Was soll sich ein Penner mehr wünschen. Es war aber auch wirklich mein Glück, daß ich so dachte.
Zeitraum: 06.10.1991 - 15.01.1992
Mein erster Tag auf der Straße war der 06.10.1991. Ich hatte keine Aussicht auf Arbeit und mit meinen Eltern verstand ich mich so gut, daß es fast jeden Tag zu Auseinandersetzungen kam. Ja was sollte ich machen?
Ich setzte mich in den erst besten Zug und bin abgehauen. Ich landete in Berlin.
Als ich nun in Berlin auf dem Bahnhof stand, wurde mir klar, das ich gar nicht wußte was ich tun sollte. Als erstes gab ich erstmal mein Gepäck ab, da es ja sowieso nur lästig war. Ich wußte von einem Freund, der auch schon mal auf der Platte war (Platte=Straße), daß man als erstes zum Deutschen Roten Kreuz gehen sollte, um zu erfahren wo Essenstellen sind oder wo man übernachten konnte als Obdachloser. Ich wußte aber nicht wie schwer es sein würde dort hinzugehen. Nein, nicht das ich nicht wußte wo das DRK ist, sondern den ersten Schritt zu tun, zurück in eine tiefer liegende soziale Schicht. Es gibt eigentlich nur noch eine tiefer liegende Schicht, die Abhängigkeit von Drogen. Doch die eine Schicht ist gar nicht soweit entfernt von der anderen. Ich bin nicht zum DRK gegangen. Die erste Nacht hatte ich auf dem Hauptbahnhof (Ex-Ostbahnhof) verbracht. Dort hatte ich auch den ersten Kontakt mit Obdachlosen, die schon seit Wochen, Monaten oder sogar seit Jahren auf der Platte lebten. Ich kam mit Ihnen ins Gespräch, immerhin war ich jetzt einer von ihnen.
Der Erste den ich kennenlernte hieß Detlef und er war ein Brandenburger. Er lebte schon seit einem Jahr auf der Platte. Warum? Er kam während der Wende aus dem Gefängnis und hatte nichts. Seine "Freunde" hatten ihn verlassen und Arbeit hatte er keine gefunden. So ist er dann hier gelandet.
Ein Zweiter, 53 Jahre alt, körperlich behindert, lebte schon seit vier Monaten in Berlin. Warum? Er wurde von der Polizei gesucht.
Ein Dritter, 84 Jahre alt, im Rollstuhl, gestorben am 01.01.1992, lebte sogar schon seit elf Jahren auf der Straße. Wir nannten ihn alle nur Opi, weil er der Älteste unter uns war.
Es waren natürlich auch Jugendliche dort. Wie zum Beispiel zwei Mädchen, 15 und 16 Jahre alt. Sie kamen aus Waren. Sie hatten Streit mit ihren Eltern und sind abgehauen.
Auch eine Stralsunderin war dort. Sie hatte ich dann aber am nächsten Tag aus den Augen verloren.
Doch nun zurück zum Hauptbahnhof. In der Nacht vom 06.10. zum 07.10.1991 erzählte man mir wie das "Leben auf der Straße" so abläuft. Kalle, der Behinderte, gab mir ein paar Adressen von Essenstellen. Wie zum Beispiel:
- Das Franziskanerkloster
- Die Kirche am Südstern
- Der Wasserturm.
Als erstes mußte ich mir eine Fahrkarte kaufen, das Geld dafür bekam ich von Detlef. Es mußte aber eine Karte über einhundert Kilometer sein (Fernfahrkarte). Ich erfuhr auch warum. Man konnte nur auf einem Bahnhof übernachten, wenn man eine gültige Fahrkarte hatte. Aber warum über 100 Kilometer? Man kaufte sich abends eine Fahrkarte für den nächsten Tag, am darauffolgenden Tag bringt man sie wieder zurück und bekommt das Geld wieder zurück. Dies geht aber nur bei Fernfahrkarten. Kurz nach Mitternacht kam die Trapo (Transportpolizei) und kontrollierte alle. Sie wissen zwar ganz genau, daß wir auf der Platte leben, aber wenn man eine Fahrkarte hat, können sie nichts unternehmen.
Am frühen Morgen, gegen 5:00 Uhr, hieß es für uns "guten Morgen". Zuerst wird sich erst mal geduscht. Es kostet zwar fünf Mark, aber was soll man machen. Als wir dann fertig waren, fuhren wir zum Bahnhof Zoo. Mir wurde ganz anders, als ich sah was dort los war. Immer häufchenweise lagen dort vier bis sechs Menschen auf der kalten Erde und schliefen. Das schlimme daran war, daß das Durchschnittsalter dieser Menschen um die fünfundzwanzig Jahre war. Ja, es waren zum größten Teil alles Menschen die ihr Leben noch vor sich hatten.
Wir gingen an ihnen vorbei zum DRK. Dort bekam jeder einen Kaffee und eine Schmalzstulle. Als wir dann "gefrühstückt" hatten, fuhren wir zum Hauptbahnhof zurück. Dort "besorgten" wir uns erst mal eine Zeitung. Gegen 7:00 Uhr ging es dann los, jetzt hieß es "arbeiten".
Detlef fuhr nach Schönefeld, um dort sein Glück mit den Telefonen zu machen. Manuela und Kerstin blieben hier um zu schnorren (betteln).
Kalle und ich fuhren zum Lichtenberger Bahnhof. Kalle hatte noch am Abend vorher alles vorbereitet. Er ging gleich zu einem der Telefone und rief irgend jemanden an, mir schien als wenn am anderen Ende keiner abnahm, denn er legte nach kurzer Zeit wieder auf. Als ich ihn darauf hin ansprach sagte er nur: "Man nehme ein Stück Holz, ca. 4 cm lang, 1,5 cm breit und drei bis fünf mm stark, beklebt dieses mit einem Kaugummi (ohne Zucker, haftet besser); man macht dann die Geldklappe auf und klebt das Holz ran. Nun kann das Geld nicht mehr in die Klappe fallen, falls ein Anrufer nicht durch kommt und wir können uns das Geld holen."
So "arbeiteten" wir bis 14:00 Uhr, dann fuhren wir zurück zum Bahnhof Zoo. Dort warteten wir bis wieder alle zusammen waren. Dann fuhren wir nach Pankow zum Franziskanerkloster um Mittag zu Essen. Dort gibt es von Montag bis Donnerstag zwischen 15:00 Uhr und 17:00 Uhr und Samstag/Sonntag zwischen 13:00 Uhr und 15:00 Uhr Mittag. Vor dem Essen wurde erst mal gebetet. Es hatte richtig geschmeckt. Erst dachte ich, daß es der Hunger gemacht hat, aber an manchen Tagen hat es besser geschmeckt als zu Hause. Ja, mein zu Hause war ja nun die Platte.
Ich dachte oft an Grimmen, meine "Heimatstadt". Meine richtige Heimatstadt ist Berlin. Diese Stadt gab mir ein neues zu Hause, als ich es am nötigsten brauchte. Sie gab mir den Willen zum überleben. Im tiefsten Herzen bin ich ein Berliner.
Doch nun wieder zurück zum 07.10.1991. Gegen 17:00 Uhr waren wir dann wieder auf dem Hauptbahnhof. Wir gaben erst mal die Fahrkarten zurück und fuhren dann zum Alex (Alexanderplatz). Dort kauften wir uns eine Neue, für den 08.10.1991. Wir verglichen dann auch unsere Einnahmen vom heutigen Tag. Wir hatten ein bißchen über einhundert Mark "erarbeitet". Was mich wunderte war, daß das Geld brüderlich geteilt wurde. Jeder von uns bekam ein Fünftel vom Geld. Irgendwie schien Kerstin es mitbekommen zu haben. Sie sagte nur: "Das ist bei uns Gesetz". Alle bekamen den gleichen Anteil, egal wie viel man mitgebracht hat.
Irgendwie ist es auf der Platte sowieso anders als im normalen Leben. Hier hat man Freunde, richtige Freunde. Sie sind nicht nur da wenn es einem gut geht. Nein auch wenn es einem schlecht geht oder gerade dann sind sie für einen da. Wer auf der Platte lebt, lernt die wahre Freundschaft kennen. Es ist nicht so, wie im normalen Leben, wo jeder nur an sich denkt. Brauchte einer von uns etwas, was ein anderer hatte, so bekam man es. Es wurde nicht gefragt, wann oder ob man es wieder bekommt. Es war normal, daß man sich half. Man griff sich unter die Arme wo man nur konnte, niemals wurde einer im Stich gelassen. Das mußte aber auch so sein, sonst würde man auf der Platte nicht durchhalten. Alleine auf der Platte zu leben, ist das schlimmste was einem von uns passieren könnte. Auf der Platte gibt es eigene Gesetze. Wer gegen sie verstößt, wird von allen verstoßen. Das gleicht auf der Platte dem Untergang. Ich habe die ganze Zeit über nicht einmal gesehen, daß jemandem nicht geholfen wurde, wenn er Hilfe brauchte. Auf der Platte leben alle wie in einer großen Familie. Alle sind gleichgestellt. Es gibt keinen der besser ist als der andere. Wenn man aber im normalen Leben sich manche Menschen ansieht, dort wollen doch die meisten besser sein als die anderen. Ich habe mir oft gewünscht, daß die gesamte Menschheit eine Zeit auf der Platte leben müßte. Viele Menschen könnten dabei noch etwas lernen. Vielleicht würde dann doch noch die Vernunft siegen, aber es bleibt halt ein Wunschtraum.
Doch nun zurück zum wahren Leben. So verging dann ein Tag nach dem anderen und dann hatten wir schon den 20.10.1991. Es war ein Freitag. Das hieß für uns, auf zum Sozialamt. Das machten wir jeden Monat einmal. Diesmal fuhren wir zum:
Sozialamt
Berlin Köpenick
Alt-Köpenick 21
O-1170 Berlin
Dieses Sozialamt ist für die im Monat Mai geborenen zuständig. Jeder von uns bekam drei Tagessätze (ein Tagessatz=15 DM) und einen Schein, für eine Fahrkarte in die Heimatstadt. Wir hatten den Leuten erzählt, daß wir auf dem Weg nach Berlin bestohlen wurden und nicht mehr nach Hause kommen. Ich wußte gar nicht wie leicht man unserem "Vater Staat" das Geld aus der Tasche ziehen kann, aber mir tat es nicht leid. (Übersicht: Sozialämter)
Da das Franziskanerkloster heute ja geschlossen hat, dachten wir uns, daß man sich ja auch einmal im Monat eine Gaststätte leisten kann. Auch wenn wir auf der Platte leben, brauchen wir nicht unbedingt auf alles zu verzichten. Wir fuhren in meine Lieblingsgaststätte:
Wendenschloß
Berlin Köpenick
0-1170 Berlin
Dort aßen wir in Ruhe Mittag und tranken Wein. Gegen 14.00 Uhr fuhren wir zum Alex. Wir haben an diesem Tag nicht mehr "gearbeitet". Als wir so über den Alex schlenderten, trafen wir einen anderen Penner. Er war 29 Jahre alt und seit acht Jahren auf der Platte. Er verdient sich sein Essen auf musikalische Art, er spielt Gitarre. Er lud uns zu einer Feier auf dem Bahnhof Zoo (Zoologischer Garten) ein. Was man auf der Platte feiern kann? Die Freiheit, die Gleichheit und es wird gefeiert wenn es einem von uns gelungen ist in ein besseres Leben aufzusteigen.
Wir fuhren also zum Bahnhof Zoo. Man empfing uns wie alte Bekannte, obwohl ich so gut wie keinen von ihnen kannte. Ich sah an diesem Tag auch zum ersten mal Fixer und Strichjungen. Es war keine Feier wie im normalen Leben. Es war bedrückt, keiner wollte so richtig lustig werden. Ich sprach darauf hin einen Punk an. Er erklärte mir auch warum es so war. Einer von uns hatte es geschafft ins "normale Leben" zurück zukehren, aber er gehörte eben zu uns. Es war genauso als wenn jemand in einer richtigen Familie stirbt. Man weiß er wird nicht mehr wiederkommen.
Ich lernte an diesem Abend aber auch eine Art Haß kennen, den ich vorher noch nie gesehen hatte.
Es kamen drei Männer, Polizisten in Zivil. Einige der Punks gehörten einer Organisation an (RFB). Ich hatte nie gedacht, daß auch ich einmal so hassen könnte. Als die drei Männer den Bahnhof betraten, standen um die zehn Punks auf und gingen den Männern entgegen. Sie hatten einen Ausdruck in den Augen, wie ich ihn nur von Filmen her kannte. Es war eine Art von Haß, tödlicher Haß. Die drei Zivilbeamten haben die Wartehalle lieber verlassen.
Ich unterhielt mich nach diesem Vorfall mit einigen Punks über Politik und Deutschland. Ich bekam auch ein Flugblatt zum lesen, darauf stand das, was in meinem Kopf schon lange feststand. Wir brauchen eine neue Gesellschaftsordnung.
Die Nacht verging leider viel zu schnell. Es war auf einmal schon wieder 05:00 Uhr und jeder ging wieder seiner Arbeit nach. Dieser Sonnabend war der erste und letzte Tag, an dem ich versucht hatte zu schnorren. Es liegt eben nicht in meiner Natur, andere fremde Menschen um Geld zu bitten. Ich bin zu stolz, um so etwas zu tun, das glaube ich zumindest. Ich hatte am Nachmittag gerade mal 10 DM. Ich hatte Angst, angst davor, daß die anderen glauben könnten, ich will auf ihre Kosten leben.
Ich machte einen Fehler.
Ich hatte im Laufe des Vormittags Kontakt mit einem Schlepper. Er hatte mir etwas von Arbeit, Geld und von einem Zimmer erzählt. Ich ging ihn suchen und fand ihn. Ich sagte ihm, daß ich mir sein Angebot überlegt habe und annehmen wollte. Er fuhr darauf hin mit mir in ein Café in der Nähe vom Kuhdamm (Kurfürstendamm). Er brachte mich zu einem Mann. Dieser erklärte mir kurz worum es ging. Es waren Zeitungen. Ich war an eine Drückerkolonne geraten, doch ich sah nur das Geld und ein eigenes Zimmer. Ich fuhr mit diesem Mann nach Braunschweig und dann weiter nach Wolfenbüttel. Die Truppe hatte sich dort ein Bauernhaus gemietet. Die ersten Tage mußte ich mit einem von ihnen von Tür zu Tür gehen um zu lernen wie man Leute überredet eine Zeitung zu abonnieren. Ich durfte zum Beispiel nie über Zeitungen reden, weil das die Leute gleich abschreckt. Also redet man über Hefte. Wenn man einen Kugelschreiber in der Hand hält, könnte man diesen fallen lassen. Wenn man will ist der Kunde schneller als man selbst und man kann dann unauffällig einen Fuß in die Tür setzen, damit der Kunde die Tür nicht zuschlagen kann. Das ist einiges aus dem einmal eins des Drückers. Ich schaffte es auch. Nur die Methoden sagten mir absolut nicht zu, denn wir hatten die Bürger na der Tür nur betrogen. Es gibt aber immer wieder Menschen, die auf die Tricks der Drücker reinfallen. Ich wußte, daß sie mich freiwillig nicht gehen lassen würden. Ich verschwand über Nacht und nahm den Lohn einer Woche mit. Ich wußte das ich mir damit Todfeinde geschaffen hatte. Es war mir egal. Was hatte ich denn zu verlieren, außer das Leben.
Ich fuhr nach Hamburg und lebte zwei Tage im Hotel. Danach fuhr ich nach Berlin zurück. Als ich an diesem Abend zum Hauptbahnhof fuhr, traf ich dort Kalle und die anderen. Ich erzählte ihnen was ich getan hatte und warum. Sie vergaben mir. Wie jeden Abend wurde das Geld auch diesmal geteilt. An diesem Abend kauften wir aber keine Fahrkarte. Wir fuhren gegen Mitternacht nach Erkner. Dort wird gegen 01:00 Uhr ein Zug bereitgestellt. In diesem Zug "schliefen" wir dann auch bis 04:45 Uhr, dann wurden wir vom Zugpersonal rausgeworfen. Als wir nach unserem täglichen "Frühstück" wieder "arbeiten" wollten, machte Kalle einen Vorschlag. Wir fuhren nach Schönefeld und setzten uns dort in eine S-Bahn nach Oranienburg. Während der Fahrt schliefen wir, so daß wir endlich mal ausschlafen konnten. Wir fuhren danach auch gleich zum Franziskanerkloster. Dort trafen wir dann auch ein Mädel vom Bahnhof Zoo. Sie lud Kerstin, Manuela und mich zu einer Party ein. Nachdem wir bis 20:00 Uhr gearbeitet hatten und dann wieder auf dem Hauptbahnhof waren, warteten wir auf Jana. Sie kam dann auch bald und wir zogen durch halb Berlin, um alle möglichen Leute zu holen. Gegen 22:30 Uhr hatten wir dann auch alle zusammen. Dann fuhren wir zu einem Friedhof. Dort wurde ein Lagerfeuer entfacht. Die erste halbe Stunde saßen wir nur um das Feuer und trauerten über die, die nicht mehr unter uns weilten. Später erzählte man dann über den Tod, Gott und die Welt. So wie diese Menschen über das Leben und den Tod dachten, hatte ich es noch nie gemacht. Nach dieser Nacht dachte ich aber öfter (auch heute noch) über den Sinn unseres Lebens nach. Wieso leben wir überhaupt. Wenn man all diesen Schmerz und die Ungerechtigkeit auf der Welt sieht, fragt man sich doch, ist der Tod nicht die Erlösung nach einem sinnlosen Leben? Was versteht man heute denn unter Leben, abgesehen von der ständigen Gewalt in diesem Land. Sicher gibt es auch schöne Tage, aber überwiegen sie? Viele Jugendliche denken wie ich. Doch es gibt auch andere Gründe sich dem Tod zu übergeben. Die Fixer, viele von ihnen geben sich den Goldenen Schuß (Überdosis). Wissen sie aber auch warum? Nein, oder habt ihr euch schon einmal Gedanken darüber gemacht. Sie kommen einfach nicht mehr mit ihrem Leben klar. Sie schaffen es nicht mehr aus der Arbeitslosigkeit und von den Drogen wegzukommen. Viele würden gerne vernünftig leben, doch ohne Hilfe von außen schaffen sie es nicht. Aber Hilfe von außen, kann man in dieser Gesellschaft nicht bekommen, denn jeder denkt nur an sich. Es reicht schon, wenn sie sich mal sehen könnten, wenn ihnen ein Penner entgegen kommt. Wie reagieren sie? Auch Penner haben Gefühle, wissen sie wie weh es tun kann, wenn man als Penner herablassend angeschaut wird? Es sind doch auch nur Menschen, genauso wie Sie und ich. Nur sie leben in einer sozial tieferen Schicht. Denkt aber immer daran, auch ihr könnt eines Tages dort landen. Ja, über solche Dinge haben wir uns Gedanken gemacht. Warum auf einem Friedhof? Dort waren wir ungestört. Wenn wir dort sind, liegt die Welt weit hinter uns, keiner kann uns sagen, was wir tun sollen. Doch jede Nacht geht einmal zu Ende. Wir verabschiedeten uns, doch eines war klar, nächstes Jahr sind wir wieder dabei.
Wir fuhren dann zurück zum Hauptbahnhof, um Kalle und Detlef zu suchen, doch sie waren nicht da. Wir fuhren zum Bahnhof Zoo, dort trafen wir wie jeden Morgen, Opi. Er sagte uns, daß die beiden für ein paar Tage untertauchen mußten, weil die Polizei gestern Nacht verstärkte Kontrollen machte. Da Kalle ja von der Polizei gesucht wurde, verschwand er lieber. Kalle ließ mir noch ausrichten, daß ich mich ein wenig um Manuela und Kerstin kümmern sollte. Wir hinterließen Opi eine Nachricht für Kalle, da wir zum Lichtenberger Bahnhof "umzogen". Dort hatten wir dann nach ein paar Tagen Kontakt mit den Lichtenberger Glatzen. Ihnen war aufgefallen, daß wir Tag und Nacht auf dem Bahnhof waren. Wir unterhielten uns dann auch mal mit ihnen. Als sie hörten, daß wir auf der Platte lebten, boten sie uns an, bei ihnen zu übernachten. Wir nahmen das Angebot natürlich dankend an. Die Wohnung von Bomber (einer der Glatzen) war wirklich gut eingerichtet. Nur an den Wänden waren Bilder und Parolen von Adolf Hitler, aber das störte mich diesmal wenig, denn wir waren froh endlich mal wieder in einem Bett zu schlafen. Am nächsten Tag trafen wir dann auch Kalle und Detlef in Lichtenberg. Es war Montag, 31.10.1991. Die Polizei hatte sich wieder beruhigt und der "Alltag" begann wieder, bis zum 17.11.1991.
An diesem Tag trafen wir die Stralsunderin wieder. Sie hatte sich verändert, sie war abhängig. Sie war an die falschen Leute gekommen. Sie verdiente ihr Geld jetzt auf dem Strich. Ich fragte sie, wie es dazu kam. Sie fing an zu erzählen: "Ich bin zum Bahnhof Zoo gefahren und traf dort alte Bekannte. Sie haben mich eingeladen und füllten mich ab (betrunken machen). Danach spritzten sie mir Drogen." Sie wurde still und fing an zu weinen. "Ich wurde abhängig und sie schickten mich anschaffen."
Wir ließen sie nicht weiterreden. Für uns stand fest, wir mußten ihr helfen. Doch wie? Für uns gab es leider nur eine Möglichkeit, Kaltentzug. Wir suchten uns ein verlassenes Haus und banden sie fest. Einer von uns mußte jetzt immer bei ihr bleiben. Wir mußten sie ja füttern, denn losbinden konnten wir sie nicht. Drogen bekam sie natürlich keine. Es war ein grausamer Kampf zwischen Leben und Tod, doch das hatten wir gewußt. Der Kampf dauerte über vier Wochen. Der körperliche Entzug war ja leicht, daß schlimmste war ja eigentlich der psychische Druck. Die meisten Menschen schaffen es ja auch nicht, kalt zu entziehen, weil sie diesen Druck nicht aushalten. Am 20.12.1991 hatten wir es geschafft, sie war clean. Sie hatte aber auch einen starken Willen gehabt. An einigen Tagen aber hatten wir gedacht, daß sie es nicht schafft. Sie stand kurz vor dem Wahnsinn.
Bis zu meiner Abreise ins normale Leben, ist sie auch sauber geblieben. Seit diesen Wochen bin ich ein extremer Gegner von Drogen. Sie blieb danach in unserer Truppe. Es war bestimmt auch besser so. Weihnachten kam ja nun immer näher. Es wurde ein Weihnachtsfest, das ich bestimmt nie vergessen werde. Wir feierten im Franziskanerkloster, natürlich ohne Gänsebraten und Alkohol, wie man es von zu Hause gewohnt war. Es wurde trotzdem ein schönes Fest. Wir bekamen sogar Geschenke, auch wenn es nur Kleinigkeiten waren, wir wußten aber es kommt von Herzen. Wir machten auch die Mitternachtsmesse mit. Für mich war das ein besonderes Ereignis, weil ich so etwas noch nicht kannte. Ich habe sogar mitgesungen, auch wenn ich nicht an Gott glaube. Wir wollten so unseren Dank ausdrücken. Es war alles so friedlich in dieser Nacht, alle waren glücklich und zufrieden. Keiner hatte uns wie Penner behandelt, wir waren einfach nur Menschen denen es schlechter ging als anderen. Als zum Schluß die Schachtel für die Geldspenden rum gegeben wurde, legten auch wir etwas rein, obwohl wir unser Geld selber dringend brauchten. Ich werde diesen Tag nie vergessen, genauso wenig wie den morgen nach Silvester, den 01.01.1992. Wir hatten am Silvesterabend eine Feier auf dem Hauptbahnhof. Zusammen mit Opi wollten wir dort hin fahren, doch er wollte nicht mitkommen. Hätten wir gewußt was passiert, hätten wir ihn auf jeden Fall mitgenommen. So gaben wir ihm Geld und ein paar von seinen Lieblingszigarren. Leider wußten wir nicht, daß wir ihn nie wieder sehen würden. Als wir am 01.01.1992 zum Bahnhof Zoo fuhren war Opi weg und in der Wartehalle war eine toten Stille, obwohl viele Obdachlose dort waren. Dann hörten wir was passiert war.
Die Trapo hatte Opi in der Silvesternacht aus der Wartehalle geworfen. Er hatte keine Fahrkarte und war damit nicht berechtigt sich dort aufzuhalten. Er ist in dieser Nacht erfroren. Seit diesem Tag spürte auch ich diesen Haß auf die Polizei in mir. An diesem Tag hätte uns kein Polizist begegnen dürfen. Wir hätten ihn wahrscheinlich zusammengeschlagen. Auch wenn er unschuldig gewesen wäre, einfach nur weil er Polizist war. Wie kann man einen Menschen, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, so sterben lassen. Für mich war das ein Mord. Ein Mord an einem wehrlosen Menschen. Er saß im Rollstuhl, wo sollte er in der Nacht hin? Schuld an diesem Tod, hat ja eigentlich nicht der Polizist. Er hat ja nur seine Pflicht getan. Nein Schuld hat dieses "demokratische" System. Ein System wo wehrlose Menschen auf die Straße, zum erfrieren, geworfen werden. Ich werde Opi und alles was mit ihm zusammenhängt nie vergessen. Das 1992 hatte ja nun für uns schön begonnen.
Nachdem wir die erste Woche im neuen Jahr rumgekriegt hatten, passierte mir etwas. Am Abend des 08.01.1992 kontrollierte mich die Trapo und ich bekam ein Bahnhofsverbot. Ich hatte keine Fahrkarte und das nutze die Trapo gleich aus. Mir war das Bahnhofsverbot ja ziemlich egal, ich lebte auf der Platte und hatte keinen festen Wohnsitz. Also was sollten die mir tun. Was hätte mir passieren können? Na ja, eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, wunderbar. Im Gefängnis habe ich wenigstens ein Dach über dem Kopf, brauche keine Miete zahlen und bekomme mein täglich Brot. Was soll sich ein Penner mehr wünschen. Es war aber auch wirklich mein Glück, daß ich so dachte.
ANTWORT ERSTELLEN