Und wenn dir einer auf die Brille tritt, denk immer daran: Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar... ;)
Zuletzt hier: 28.01.2015Mitglied seit: 26.11.2011Geburtstag: 18.12 (2023)
Blog-Einträge von azawakhlover
28.12.2011 - 21:18 h
Ungerechtigkeiten des Lebens
Meine Augen waren verschmiert. Die Schminke war verlaufen. Vorher hatte ich geheult wie ein Schlosshund, jetzt war ich nur noch wütend. Hastig stapfe ich durch die Gassen.
Schonwieder haben wir uns gestritten. Wir streiten uns ununterbrochen, Tag und Nacht.
Die Menschen rund um mich herum waren alle fröhlich, die Frauen plauderten miteinander auf der Gasse und tauschten die wichtigsten Neuigkeiten aus, die Männer sassen an runden Tischen, spielten Karten und hatten Spass. Aber ich war noch immer wütend und fragte mich, warum das Leben so ungerecht ist. In Windeseile rauschte ich vorbei an den tratschenden Weibern und den lachenden Männern. Jetzt war gerade gar nicht der richtige Zeitpunkt für mich, fröhlich zu sein. Denn ich war ja wütend. Und wenn ich schon einmal sauer war, dann wollte ich es auch so richtig auskosten. Immer wenn ich wütend bin, hinterfrage ich alles. Die ganze Welt sozusagen. Mein Leben ist so ziemlich das Ungerechteste, schien es mir in diesem Moment. Warum streiten wir uns immer und können nicht miteinander in Frieden leben? Alles ging schief, so wie immer.
Als ich jedoch, schnaubend vor Wut, um die Ecke raste, erblickte ich einen kleinen Jungen, der auf einem Stuhl sass. Von weitem schien er ganz normal zu sein. Doch als ich immer näher kam sah ich, dass es gar kein Stuhl war, sondern ein sonderbares Gefährt mit kleinen Rädern. Es war ein Rollstuhl. Aber kein gewöhnlicher. Er hatte sogar eine Kinnstütze und einen Sicherheitsgurt. Eine Frau, ich nehme an es war seine Mutter, stand hinter dem Jungen und sprach ihm zu.
„Hast du hunger? Schau mal dort hinten, der Luftballon. Ist er nicht schön, hm?“
Seine Augen drehten sich immer wieder gen Himmel. Er keuchte, sein Atem rasselte. Aus seinem Mundwinkel ronn immer wieder eine durchsichtige Flüssigkeit, die sich in langen Fäden bis auf seinen Pullover zog. Plötzlich gab er undefinierbare Geräusche von sich. Es war wie ein Bellen von einem Hund. Ich wich einen Schritt zurück. Obwohl ich nicht sehr nahe stand, beängstigten mich seine Geräusche. So etwas hatte ich noch nie gesehen, geschweige denn, gehört. Liebevoll strich die Frau ihm über den Kopf, dann über die Wange und küsste sie schliesslich ganz sanft. Darauf stiess er wieder solch seltsame, bellende Geräusche aus und wippte heftig in seinem Rollstuhl. Er schien sich zu freuen. Ich setzte mich auf eine Bank ganz in der Nähe der beiden und beobachtete sie. Die Frau war so unglaublich gut zu ihm. Sie sprach die ganze Zeit mit ihm, erzählte ihm Geschichten, zeigte immer wieder auf Gegenstände und erklärte ihm, für was sie gut sind. Mir kam es so vor, als hätte ich schon eine Ewigkeit dagesessen, als ich anfing, nachzudenken.
Ich fühlte mich plötzlich noch unwohler in meiner Haut, nicht aber wegen der Ungerechtigkeit in meinem Leben, nein, ich dachte an die Ungerechtigkeit im Leben des kleinen Jungen. Und ich fühlte mich schlecht. Wie konnte ich nur unzufrieden sein mit meinem Leben. Jetzt fragte ich mich, warum diese Frau lachen konnte. Ihr Sohn, schwerst behindert, nicht ansprechbar. Aber sie lachte trotzdem mit ihm. Warum war ich gerade noch einmal wütend? Ich wusste es gar nicht mehr. Im Gegensatz zu den Sorgen dieser Frau waren meine so klein, dass sie gar nicht erwähnenswert waren. Ich hatte in dieser Zeit völlig vergessen, warum ich mich eigentlich aufgeregt hatte. Aber es ist nur schon beschämend wenn ich denke, über was ich mich sonst so aufrege. Ich rege mich beispielsweise auf, wenn die Saftschubse im Flugzeug zuerst die andere Reihe bedient, der Lehrer mir einen halben Punkt abzieht, weil ich den Bruchstrich nicht auf Zeilenhöhe gemacht habe, wenn ich nicht so lange draussen bleiben kann, wie die anderen, wenn meine Freundin mir nicht zurückschreibt und so weiter und so fort. In diesem Moment kam es mir so vor, als regte ich mich mein ganzes Leben schon über kleine Unwichtigkeiten auf, anstatt mich dessen zu erfreuen, was ich hatte. Ich meine, wie glücklich könnten wir sein, dass wir gesund sind.
In den lauten Momenten des Lebens hätte ich über den vorherigen Satz nur mit den Augen gerollt und gelacht. Aber jetzt, in einem solch stillen Moment scheint die Tatsache, gesund zu sein, ein riesiges Geschenk zu sein. Wir können schimpfen, ausrufen und uns über Saftschubsen, Lehrer oder Eltern aufregen, aber was macht die Mutter des kleinen Jungen? Welche Wut wird sie haben? Warum gerade sie, wird sie sich fragen.
Alle diese Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Ich war nun nicht mehr wütend, die Tränen um meine Augen waren getrocknet. Verschmiert waren sie zwar immernoch, die Augen, aber das war mir in diesem Augenblick egal. Ich scherte mich für einen kurzen Moment nicht um diese unwichtigen Sachen.
Und ich schaute, bevor ich mich erhob, noch einmal zu den Zweien. Sie standen noch so da wie vorher. Die Frau kitzelte ihn an der Seite und sein plumper Körper wippte wieder heftig im Rollstuhl vor und zurück. Er lachte. Und wieder verdrehten sich seine Augen. Das Leben ist so ungerecht, dachte ich mir.
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Meine Augen waren verschmiert. Die Schminke war verlaufen. Vorher hatte ich geheult wie ein Schlosshund, jetzt war ich nur noch wütend. Hastig stapfe ich durch die Gassen.
Schonwieder haben wir uns gestritten. Wir streiten uns ununterbrochen, Tag und Nacht.
Die Menschen rund um mich herum waren alle fröhlich, die Frauen plauderten miteinander auf der Gasse und tauschten die wichtigsten Neuigkeiten aus, die Männer sassen an runden Tischen, spielten Karten und hatten Spass. Aber ich war noch immer wütend und fragte mich, warum das Leben so ungerecht ist. In Windeseile rauschte ich vorbei an den tratschenden Weibern und den lachenden Männern. Jetzt war gerade gar nicht der richtige Zeitpunkt für mich, fröhlich zu sein. Denn ich war ja wütend. Und wenn ich schon einmal sauer war, dann wollte ich es auch so richtig auskosten. Immer wenn ich wütend bin, hinterfrage ich alles. Die ganze Welt sozusagen. Mein Leben ist so ziemlich das Ungerechteste, schien es mir in diesem Moment. Warum streiten wir uns immer und können nicht miteinander in Frieden leben? Alles ging schief, so wie immer.
Als ich jedoch, schnaubend vor Wut, um die Ecke raste, erblickte ich einen kleinen Jungen, der auf einem Stuhl sass. Von weitem schien er ganz normal zu sein. Doch als ich immer näher kam sah ich, dass es gar kein Stuhl war, sondern ein sonderbares Gefährt mit kleinen Rädern. Es war ein Rollstuhl. Aber kein gewöhnlicher. Er hatte sogar eine Kinnstütze und einen Sicherheitsgurt. Eine Frau, ich nehme an es war seine Mutter, stand hinter dem Jungen und sprach ihm zu.
„Hast du hunger? Schau mal dort hinten, der Luftballon. Ist er nicht schön, hm?“
Seine Augen drehten sich immer wieder gen Himmel. Er keuchte, sein Atem rasselte. Aus seinem Mundwinkel ronn immer wieder eine durchsichtige Flüssigkeit, die sich in langen Fäden bis auf seinen Pullover zog. Plötzlich gab er undefinierbare Geräusche von sich. Es war wie ein Bellen von einem Hund. Ich wich einen Schritt zurück. Obwohl ich nicht sehr nahe stand, beängstigten mich seine Geräusche. So etwas hatte ich noch nie gesehen, geschweige denn, gehört. Liebevoll strich die Frau ihm über den Kopf, dann über die Wange und küsste sie schliesslich ganz sanft. Darauf stiess er wieder solch seltsame, bellende Geräusche aus und wippte heftig in seinem Rollstuhl. Er schien sich zu freuen. Ich setzte mich auf eine Bank ganz in der Nähe der beiden und beobachtete sie. Die Frau war so unglaublich gut zu ihm. Sie sprach die ganze Zeit mit ihm, erzählte ihm Geschichten, zeigte immer wieder auf Gegenstände und erklärte ihm, für was sie gut sind. Mir kam es so vor, als hätte ich schon eine Ewigkeit dagesessen, als ich anfing, nachzudenken.
Ich fühlte mich plötzlich noch unwohler in meiner Haut, nicht aber wegen der Ungerechtigkeit in meinem Leben, nein, ich dachte an die Ungerechtigkeit im Leben des kleinen Jungen. Und ich fühlte mich schlecht. Wie konnte ich nur unzufrieden sein mit meinem Leben. Jetzt fragte ich mich, warum diese Frau lachen konnte. Ihr Sohn, schwerst behindert, nicht ansprechbar. Aber sie lachte trotzdem mit ihm. Warum war ich gerade noch einmal wütend? Ich wusste es gar nicht mehr. Im Gegensatz zu den Sorgen dieser Frau waren meine so klein, dass sie gar nicht erwähnenswert waren. Ich hatte in dieser Zeit völlig vergessen, warum ich mich eigentlich aufgeregt hatte. Aber es ist nur schon beschämend wenn ich denke, über was ich mich sonst so aufrege. Ich rege mich beispielsweise auf, wenn die Saftschubse im Flugzeug zuerst die andere Reihe bedient, der Lehrer mir einen halben Punkt abzieht, weil ich den Bruchstrich nicht auf Zeilenhöhe gemacht habe, wenn ich nicht so lange draussen bleiben kann, wie die anderen, wenn meine Freundin mir nicht zurückschreibt und so weiter und so fort. In diesem Moment kam es mir so vor, als regte ich mich mein ganzes Leben schon über kleine Unwichtigkeiten auf, anstatt mich dessen zu erfreuen, was ich hatte. Ich meine, wie glücklich könnten wir sein, dass wir gesund sind.
In den lauten Momenten des Lebens hätte ich über den vorherigen Satz nur mit den Augen gerollt und gelacht. Aber jetzt, in einem solch stillen Moment scheint die Tatsache, gesund zu sein, ein riesiges Geschenk zu sein. Wir können schimpfen, ausrufen und uns über Saftschubsen, Lehrer oder Eltern aufregen, aber was macht die Mutter des kleinen Jungen? Welche Wut wird sie haben? Warum gerade sie, wird sie sich fragen.
Alle diese Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Ich war nun nicht mehr wütend, die Tränen um meine Augen waren getrocknet. Verschmiert waren sie zwar immernoch, die Augen, aber das war mir in diesem Augenblick egal. Ich scherte mich für einen kurzen Moment nicht um diese unwichtigen Sachen.
Und ich schaute, bevor ich mich erhob, noch einmal zu den Zweien. Sie standen noch so da wie vorher. Die Frau kitzelte ihn an der Seite und sein plumper Körper wippte wieder heftig im Rollstuhl vor und zurück. Er lachte. Und wieder verdrehten sich seine Augen. Das Leben ist so ungerecht, dachte ich mir.
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28.12.2011 - 21:16 h
Erinnerungen
Die Erinnerungen fallen zu Boden. Sie sind wie Glas. So zerbrechlich. Tausend scherben liegen zu meinen Füssen. Sie schreien, lachen, weinen. Ich höre sie flehen. Die Seelen der Vergangenheit. Ich versprach doch, diese Erinnerungen niemals fallen zu lassen. Aber es passierte trotzdem. Ich liess sie los. Wollte sie nicht mehr haben. Ich schleuderte sie zu Boden. So fest ich nur konnte. Damit auch jedes noch so kleine Detail kaputt ging. Einzelne Scherben glitzern im schwachen Sonnenlicht. Sind das schöne Erinnerungen? Sie glitzern in den schönsten Farben. Das Funkeln ist wunderschön. Ich bin überzeugt, die die am meisten glitzern, sind die schönsten Erinnerungen von allen. Diese hätte ich gerne behalten. Aber man kann nicht wählen. Entweder behält man seine Erinnerungen, wie sie sind, oder man verbannt sie ins ewige Vergessen und zerstört sie so.
Der Moment in dem die Vergangenheit wie ein Glas in seine Einzelteile zersplitterte. Das Geschrei der der Seelen, die in der Vergangenheit weiterleben. Sie nennen sich Erinnerungen. Niemals wollen sie in Vergessenheit geraten. Sie behüten das Vergangene und durch sie können wir alles, was vorbei ist, in Gedanken wieder und wieder durchleben. Die Erinnerungen schleichen immer wieder in meine Gedanken, um nicht im Meer des Vergessens unterzugehen. Sie wollen ewig in mir weiterleben.
Ich sagte, dass ich sie behüten werde. Ich log. Jetzt habe ich sie zerstört, für immer verbannt, ja, dazu verdammt im brausenden Meer des Vergessens jämmerlich zu ertrinken. Aber ich konnte nicht anders. Ist es normal, dass jemand alle Versprechen bricht? Jetzt schaue ich zu Boden und entdecke den einen Splitter. Damals. Wie ich glücklich war. In Gedanken bin ich noch einmal dort. Immer mehr Sonne scheint durch das kleine Fenster. Ich schaue zu Boden und sehe um mich herum nur kleine, glitzernde Splitter. Sie sind wie Glas. Alles glitzert.
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Die Erinnerungen fallen zu Boden. Sie sind wie Glas. So zerbrechlich. Tausend scherben liegen zu meinen Füssen. Sie schreien, lachen, weinen. Ich höre sie flehen. Die Seelen der Vergangenheit. Ich versprach doch, diese Erinnerungen niemals fallen zu lassen. Aber es passierte trotzdem. Ich liess sie los. Wollte sie nicht mehr haben. Ich schleuderte sie zu Boden. So fest ich nur konnte. Damit auch jedes noch so kleine Detail kaputt ging. Einzelne Scherben glitzern im schwachen Sonnenlicht. Sind das schöne Erinnerungen? Sie glitzern in den schönsten Farben. Das Funkeln ist wunderschön. Ich bin überzeugt, die die am meisten glitzern, sind die schönsten Erinnerungen von allen. Diese hätte ich gerne behalten. Aber man kann nicht wählen. Entweder behält man seine Erinnerungen, wie sie sind, oder man verbannt sie ins ewige Vergessen und zerstört sie so.
Der Moment in dem die Vergangenheit wie ein Glas in seine Einzelteile zersplitterte. Das Geschrei der der Seelen, die in der Vergangenheit weiterleben. Sie nennen sich Erinnerungen. Niemals wollen sie in Vergessenheit geraten. Sie behüten das Vergangene und durch sie können wir alles, was vorbei ist, in Gedanken wieder und wieder durchleben. Die Erinnerungen schleichen immer wieder in meine Gedanken, um nicht im Meer des Vergessens unterzugehen. Sie wollen ewig in mir weiterleben.
Ich sagte, dass ich sie behüten werde. Ich log. Jetzt habe ich sie zerstört, für immer verbannt, ja, dazu verdammt im brausenden Meer des Vergessens jämmerlich zu ertrinken. Aber ich konnte nicht anders. Ist es normal, dass jemand alle Versprechen bricht? Jetzt schaue ich zu Boden und entdecke den einen Splitter. Damals. Wie ich glücklich war. In Gedanken bin ich noch einmal dort. Immer mehr Sonne scheint durch das kleine Fenster. Ich schaue zu Boden und sehe um mich herum nur kleine, glitzernde Splitter. Sie sind wie Glas. Alles glitzert.
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28.12.2011 - 21:12 h
Geschichte
Und es ist kalt. Sehr kalt. Die klirrende Kälte, ich habe Angst vor ihr. Denn sie ist es, die meine Finger blau färbt, so wie jetzt. Es schmerzt. Und wieder sitze ich hier in dieser Kälte. Menschen kommen und gehen. Doch ich bleibe hier und schaue zu, wie sie nervös hin und her wippen, immer wieder auf ihre Uhr schauen, um nicht den nächsten Zug nach weit weg zu verpassen.
Immer geht er rund herum. Wieder und wieder. Die Menschen rund um mich herum beobachten ihn auch. So wie ich. Immer, wenn er eine Runde geschafft hat, um nur eine Sekunde später wieder eine neue zu starten, stehen Menschen hektisch auf und gehen. Sie sind angewiesen auf ihn. Er dreht weiter, ohne Rücksicht zu nehmen. Pausenlos.
Eine junge Frau setzt sich neben mich auf die Bank. Ihre Augen sind hellblau geschminkt. Doch meine Hände, die sind nicht blau geschminkt. Sie lässt ihren Blick durch die grosse Halle schweifen, um ihn dann, auf meine Hände gerichtet, ruhen zu lassen.
Die Bahnhofsgespräche, ich mochte sie schon immer. Diese pochende, gedämpfte Lautstärke. Hier kommen Menschen zusammen. Und sie gehen auch auseinander. So wie gestern. Vielleicht war es aber auch vorgestern.
Die Tochter, mit Tränen in den Augen, sie umarmte ihren Vater, stieg ein und verschwand im Abteil. Der Vater. Seine Augen waren feucht. Doch er war nicht der Typ, der zugeben würde, dass es Tränen sind, das sah ich ihm an. Ja, bestimmt, es war kalt, so kalt, dass der Atem neblig in der Luft hängen blieb. Aber es war nicht die Kälte, die seine Augen zum Glänzen brachte.
Der Zug fuhr ab. Der Vater vergrub, nachdem er seiner Tochter zugwinkt hatte, die Hände in den Taschen seines langen Mantels. Sein Blick verriet seine Gefühle. Doch das ist hier am Bahnhof normal. Nichts Besonderes.
Ich sehe, wie die Frau mit den himmelblauen Augenlidern ihren Kopf zur Seite legt und mich anschaut. Ihr Blick hat etwas, was mich vermuten lässt, dass sie Mitleid mit mir hat. Ich brauche nicht von fremden Leuten bemitleidet zu werden. Wenn, dann tu ich das selber.
Wieder hüpft der eine Zeiger eine Markierung nach rechts, worauf der andere wieder eine neue Runde beginnt. Die Frau ist ein Nachtmensch, so wie ich. Das sieht man an der blassen Haut, die wohl nie vom Tageslicht erwärmt und gebräunt wird. Sie sucht etwas in ihrer Tasche. Ihre Miene verfinstert sich, als sie auf das Anzeigebild ihres Telefons schaut. Dann wider der hektische Griff in ihre Tasche. Sie riecht gut, die Frau. Ihre Gesichtszüge entspannen sich wieder und sie nimmt eine Zigarette aus ihrer Tasche. Schön, wenn ein Mensch, nur wegen einer Zigarette beginnt, zu lachen.
„Feuer?“, krächzt sie, mit den blauen Lidern klimpernd, in meine Richtung. Ich nicke und reiche ihr das Feuer. Die Zigarette flammt auf, dann gibt sie mir das Feuer wieder zurück. Stille. Man kann nur die verstummten Bahnhofsgespräche hören. Sie kümmert sich wohl so wie ich, nicht darum, wie der Zeiger seine Runden dreht. Züge kommen und gehen. Doch ich bleibe hier. Die Frau erhebt sich, nach vielen weiteren Runden, die der Zeiger gemacht hat. Sie nippt noch ein letztes Mal an ihrer Zigarette, und wirft sie zu Boden. Da liegt sie. Es ist kalt, denn der Rauch, der aufsteigt, bleibt in der Luft stehen. Bald werden die Leute wieder kommen, die Halle in einen Treffpunkt verwandeln. Einen Punkt, an dem man sich trifft, einen Punkt, an dem man auseinander geht. Das ist der Bahnhof. Es wird noch einige Runden dauern, bis die Sonne die Halle wieder in ein warmes Licht tauchen wird. Aber ich bin dann nicht mehr hier, denn ich warte, bis die Nacht wieder kommt. Dann komme ich wieder. Jetzt ist Nacht. Die verstummten Gespräche betören mich. Ich schliesse meine Augen. Und wache wieder auf, als die Sonnenstrahlen durch die Hallenfenster hineinkommen. Aber ich bin ein Nachtmensch.
2
Und es ist kalt. Sehr kalt. Die klirrende Kälte, ich habe Angst vor ihr. Denn sie ist es, die meine Finger blau färbt, so wie jetzt. Es schmerzt. Und wieder sitze ich hier in dieser Kälte. Menschen kommen und gehen. Doch ich bleibe hier und schaue zu, wie sie nervös hin und her wippen, immer wieder auf ihre Uhr schauen, um nicht den nächsten Zug nach weit weg zu verpassen.
Immer geht er rund herum. Wieder und wieder. Die Menschen rund um mich herum beobachten ihn auch. So wie ich. Immer, wenn er eine Runde geschafft hat, um nur eine Sekunde später wieder eine neue zu starten, stehen Menschen hektisch auf und gehen. Sie sind angewiesen auf ihn. Er dreht weiter, ohne Rücksicht zu nehmen. Pausenlos.
Eine junge Frau setzt sich neben mich auf die Bank. Ihre Augen sind hellblau geschminkt. Doch meine Hände, die sind nicht blau geschminkt. Sie lässt ihren Blick durch die grosse Halle schweifen, um ihn dann, auf meine Hände gerichtet, ruhen zu lassen.
Die Bahnhofsgespräche, ich mochte sie schon immer. Diese pochende, gedämpfte Lautstärke. Hier kommen Menschen zusammen. Und sie gehen auch auseinander. So wie gestern. Vielleicht war es aber auch vorgestern.
Die Tochter, mit Tränen in den Augen, sie umarmte ihren Vater, stieg ein und verschwand im Abteil. Der Vater. Seine Augen waren feucht. Doch er war nicht der Typ, der zugeben würde, dass es Tränen sind, das sah ich ihm an. Ja, bestimmt, es war kalt, so kalt, dass der Atem neblig in der Luft hängen blieb. Aber es war nicht die Kälte, die seine Augen zum Glänzen brachte.
Der Zug fuhr ab. Der Vater vergrub, nachdem er seiner Tochter zugwinkt hatte, die Hände in den Taschen seines langen Mantels. Sein Blick verriet seine Gefühle. Doch das ist hier am Bahnhof normal. Nichts Besonderes.
Ich sehe, wie die Frau mit den himmelblauen Augenlidern ihren Kopf zur Seite legt und mich anschaut. Ihr Blick hat etwas, was mich vermuten lässt, dass sie Mitleid mit mir hat. Ich brauche nicht von fremden Leuten bemitleidet zu werden. Wenn, dann tu ich das selber.
Wieder hüpft der eine Zeiger eine Markierung nach rechts, worauf der andere wieder eine neue Runde beginnt. Die Frau ist ein Nachtmensch, so wie ich. Das sieht man an der blassen Haut, die wohl nie vom Tageslicht erwärmt und gebräunt wird. Sie sucht etwas in ihrer Tasche. Ihre Miene verfinstert sich, als sie auf das Anzeigebild ihres Telefons schaut. Dann wider der hektische Griff in ihre Tasche. Sie riecht gut, die Frau. Ihre Gesichtszüge entspannen sich wieder und sie nimmt eine Zigarette aus ihrer Tasche. Schön, wenn ein Mensch, nur wegen einer Zigarette beginnt, zu lachen.
„Feuer?“, krächzt sie, mit den blauen Lidern klimpernd, in meine Richtung. Ich nicke und reiche ihr das Feuer. Die Zigarette flammt auf, dann gibt sie mir das Feuer wieder zurück. Stille. Man kann nur die verstummten Bahnhofsgespräche hören. Sie kümmert sich wohl so wie ich, nicht darum, wie der Zeiger seine Runden dreht. Züge kommen und gehen. Doch ich bleibe hier. Die Frau erhebt sich, nach vielen weiteren Runden, die der Zeiger gemacht hat. Sie nippt noch ein letztes Mal an ihrer Zigarette, und wirft sie zu Boden. Da liegt sie. Es ist kalt, denn der Rauch, der aufsteigt, bleibt in der Luft stehen. Bald werden die Leute wieder kommen, die Halle in einen Treffpunkt verwandeln. Einen Punkt, an dem man sich trifft, einen Punkt, an dem man auseinander geht. Das ist der Bahnhof. Es wird noch einige Runden dauern, bis die Sonne die Halle wieder in ein warmes Licht tauchen wird. Aber ich bin dann nicht mehr hier, denn ich warte, bis die Nacht wieder kommt. Dann komme ich wieder. Jetzt ist Nacht. Die verstummten Gespräche betören mich. Ich schliesse meine Augen. Und wache wieder auf, als die Sonnenstrahlen durch die Hallenfenster hineinkommen. Aber ich bin ein Nachtmensch.
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